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Artefakt

Artefakt

Titel: Artefakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory Benford
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zurückgelassen; während der Arbeit an der Veröffentlichung war die Aktentasche zu einem Symbol für die Last des vergangenen Jahres geworden.
    Wütendes Hupen ertönte, als sie unbekümmert auf den Storrow Drive hinausjagte. Sie sah auf die Uhr. Wahrscheinlich wäre es am besten, zur Cambridge Street hinaufzuschießen und einen Bogen in die Stadt zu machen. Früher Nachmittag an einem Samstag im Mai, da fuhren die Massen der Baseball-Zuschauer in die entgegengesetzte Richtung, nach Fenway Park. Sie kam gut voran und überholte Volkswagen mit ihrer gewohnten Geringschätzung.
    Die anwachsende, zeitraubende Arbeit an dem Artikel war gekommen, als sie versucht hatte, erhärtende Beweise zu finden. Mochten späterhin Fachleute für minoische Ethnologie und Geschichte und die archäologische Geologie von Santorin mit ihren vermuteten Verbindungen und vergleichbaren Ideen kommen, die auf Tonscherben und verstreuten Resten von Metall und Holz beruhten. Das war alles schön und gut. Aber die Überzeugungskraft mußte aus neuen Forschungsergebnissen erwachsen.
    Sie hatte Carmody überredet, die am Meeresboden in Überresten erkennbare Fortsetzung des Höhlengangs kartographisch aufnehmen zu lassen. Im Anschluß an Carmodys Operation und ihre mißlungene Geheimhaltung hatte die Sechste Flotte eine Woche lang die Küste der Argolischen Halbinsel blockiert und einer Gruppe von Wissenschaftlern, welche die Auswirkungen der Singularität auf das Gelände im einzelnen erforscht hatte, ein ungestörtes Arbeiten ermöglicht. Während dieser Zeit hatten Taucher festgestellt, daß die unterseeische Fortsetzung des Höhlengangs eine gerade Linie beschrieb, die, auf eine größere Karte übertragen, genau durch Santorin schnitt. Damit nicht genug, führte die Linie durch die gewaltige Caldera des explodierten Vulkans, nicht durch den verbliebenen Halbmond der gegenwärtigen Insel. Das legte den Schluß nahe, daß die Singularität Santorin vor der endgültigen Eruption auf der Suche nach ihrem Zwilling verlassen hatte.
    War es ein zufälliges Zusammentreffen, daß die Bewegungen der Singularitäten, die Suche des toten Königs nach einer von ihnen, und die Eruption des Vulkans Santorin von 1426 v. Chr. alle ungefähr zur gleichen Zeit stattfanden? Oder war der König nach Santorin gesegelt, das mythische Ungeheuer zu finden und zu bändigen, weil die Bewohner der Insel mit vorbestimmter Intuition einen Zusammenhang zwischen den sonnenhellen, alles verbrennenden Erscheinungen und der ruhelosen Erde unter ihren Füßen sahen? War es möglich, daß die Singularitäten die Eruption verursacht hatten?
    So war die Minotauroslegende vielleicht aus dem vergeblichen Bemühen des Menschen erwachsen, sein Schicksal zu lenken und das achtlose Achselzucken der Erde zu blockieren, das ihn und all seine Schöpfungen zerschmettern und zu Staub machen würde. Das machte dem erstaunlichen Mythos vom Minotauros zu einer Geschichte stolzen, hart erkämpften zeitweiligen Erfolges, in mündlicher Überlieferung umgewandelt in eine Legende von einem Wesen, das halb Mensch und halb Tier war.
    ›Vielleicht‹ war, wie John sagte, freilich keine Theorie, ›vielleicht‹ war nur ›vielleicht‹. Darum hatte sie nach substantiellen Anhaltspunkten gesucht, nach bekräftigenden Argumenten, die etwas vom harten Glanz naturwissenschaftlicher Beweisführung an sich hatten. Gebeine und Grabbeigaben des Königs waren in einigen der Kisten, die frühzeitig im Verlauf der Ausgrabungen von Hampton in die Vereinigten Staaten gebracht worden waren, und an diesen hatte sie gearbeitet. Eine radiologische Analyse der Knochen ergab ein deutliches Übermaß an mehreren radioaktiven Isotopen. Der König war einer tödlichen Strahlungsdosis zum Opfer gefallen. Andere Gebeine aus demselben Kuppelgrab, aber von anderen Toten, zeigten keine über die minimalen natürlichen Werte der damaligen Zeit hinausgehenden Konzentrationen. Dies war für sie das entscheidende Argument. Die Singularität hatte ihn schon getötet, als er noch seinen großen Triumph gefeiert hatte.
    Die Archäologie war ein ruhiges, methodisches Arbeitsgebiet. Wie alle Wissenschaften belohnte sie Umsicht. Claire brachte eine Theorie vor, die weitgehend auf Spekulation beruhte, um scheinbar isolierte Fakten miteinander zu verbinden und zu erklären. Das war immer gefährlich, und sie war sich dessen ebenso bewußt wie der Möglichkeit, daß spätere Erkenntnisse sie zum Rückzug zwingen könnten. Aber die

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