Artefakt
entgangen war. In einem einzigen Monat hatte John ein Dutzend Angebote erhalten, unter denen das von Harvard die Bekrönung gewesen war. Er würde dort als außerordentlicher Professor anfangen; die Berufung zum ordentlichen Professor schien gesichert.
Zaninetti beglückwünschte ihn überschwenglich, und Abe Sprangle tat es ihm beinahe gleich. Abe und Claire wollten nach ihrer Rückkehr gemeinsam an einer ausführlichen Veröffentlichung über das Artefakt arbeiten. Schon jetzt war es Abes bekanntestes Werk, dabei war es noch nicht einmal geschrieben, geschweige denn publiziert. Die Gerüchteküche tat mehr für das Ansehen als die Fachzeitschriften.
Das Stimmengewirr wurde lauter, und die Kapelle begann aufzuspielen. Sie tanzte mit Hingabe Walzer, erinnerte sich zwar nicht bewußt der Schritte, fand aber mit Leichtigkeit hinein. Sie hielt den Kopf hoch erhoben, und die Lichter der Kronleuchter wirbelten wie Sternbilder um sie, bis sie in momentanem Schwindel die Stirn an Johns weißen Smoking lehnte, eine saubere Fläche, wo sie Ruhe finden konnte, so willkommen wie die Tragbahre es an jenem fernen Morgen gewesen war.
Ihre Mutter versammelte die Hauptpersonen für die obligatorischen Fotografien um sich. Ein wieselflinker Mann arrangierte Lampen und Menschen, manövrierte sie dann durch die vorgeschriebenen Konfigurationen der Familie, steife Gruppenaufnahmen, Nahaufnahmen mit statischem Lächeln. Obwohl dies das am wenigsten natürliche Ereignis von allen war, fühlte Claire sich davon erhoben, eingehüllt in den gedämpften Schein von Atelierlampen, in einer seltsamen Weise imstande, sich selbst und alle anderen wie von dritter Warte aus zu sehen, als ob sie für alle Zeit fixiert wären. Ihre Mutter brachte einen Toast auf das Brautpaar aus und hielt ein Glas mit geheimnisvoll wirkkräftigem Punsch in die Höhe: »Auf eure Zukunft, liebe Kinder!« Etwas schwappte über den Rand des hocherhobenen Glases, wurde zu bernsteinfarbenen Tropfen, und der flinke Fotograf hielt sie in einem Schnappschuß fest – kleine Bernsteinkugeln, die im schräg einfallenden gelben Sonnenschein hingen und durchsichtig glänzten, zu ihrer Mutter nicht ganz vornehmer, gaffender Überraschung.
Prof. Hampton trat auf sie zu, lächelnd, das Gesicht gerötet, entweder vom Champagner oder der Peinlichkeit seiner Pflicht. »Ich freue mich darauf, Sie wieder in der Abteilung zu haben«, sagte er mit erzwungener Leutseligkeit. »Dies alles war das pièce de resistance für ein wahrhaft unglaubliches Jahr.«
Sie lächelte und antwortete mit einer bedeutungslosen Höflichkeit. Vielleicht würde sie noch ein Jahr an der Universität Boston aushalten, aber eher wollte sie verdammt sein, als noch länger unter Hamptons Fuchtel zu bleiben. Wenn er nicht ging, würde sie es tun. Aber das war ein anderer Kampf, sagte sie sich, für eine spätere Zeit.
»Ich glaube, ihr solltet euch für euer Flugzeug umziehen«, sagte ihre Mutter. Die Hochzeitsgäste wirbelten um sie her, Stimmen, Gelächter, eine glückliche Fülle… sie wollte nicht gehen. Sie wollte sich an diesen Nachmittag klammern und ihn genießen, einen Augenblick, von dem sie niemals geglaubt hatte, daß er je kommen würde, den sie sowieso mehr gefürchtet als ersehnt hatte. Aber es war alles gut ausgegangen, sie hatte das jenseitige Ufer erreicht, und die Zeit brauchte nicht stillzustehen.
»Ja, es ist Zeit«, sagte John neben ihr.
Der Sommer hatte sich durch die Marienfäden des New Yorker Frühlings gedrängt und den Nachmittagen eine drückende, bleierne Hitze gebracht. Sie machten das Abendessen zum gemütlichen Mittelpunkt des Tages und verbrachten die heißesten Stunden in ihrem Zimmer im Astor, wo sie die Zeit in einem erotischen Dunst vertändelten. Eine Woche verging, ohne daß sie das Gefühl hatten, es sei Zeit vergangen, vielmehr war es wie die gleichmäßige Bewegung eines Flusses, die endlos ziehende Strömung, die den Fluß dennoch nie veränderte.
Sie hatten ihr Ziel niemandem verraten. Johns Vater hatte sie in einem Wagen, der mit Rasierwasser und Parfüm besprenkelt und mit NEUVERMÄHLT-Schildern verziert war, zum Flughafen gebracht. Am Callahan-Tunnel zahlte der Fahrer vor ihnen die Gebühr für sie, hupte und winkte ihnen zu. Johns Vater hatte ihnen mit dem Gepäck geholfen und John dann zum Abschied einen festen Händedruck von Mann zu Mann gegeben. Im Flugzeug stimmten sie beide darin überein, daß der Empfang wundervoll gewesen sei, und tatsächlich
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