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Artefakt

Artefakt

Titel: Artefakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory Benford
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bedauerten sie, daß sie ihn vorzeitig hatten verlassen müssen.
    Die umfassende, geradezu verschwenderische Geschäftigkeit New Yorks verschlang sie. Sie besuchten Kunstausstellungen, aßen gut, sahen das Erfolgsstück der Saison: Ich würde, wenn ich könnte, aber ich kann nicht, also werde ich nicht. John fand es gut, Claire nicht. Sie verbrachten einen Vormittag in dem neuen Vergnügungspark zwischen der 130. und 142. Straße. Es war alles aufwendig und kunstvoll gemacht, ein bunter Karneval, der wie aus der Phantasie eines Künstlers in die Mitte einer Grünfläche von der Ausdehnung eines Blocks gepflanzt war. Die kleinen Hügel und Senken gemahnten Claire an einen Golfplatz, und man konnte nicht mehr sehen, daß sich darunter Schutthaufen von Mietshäusern verbargen, die einst hier gestanden hatten. Zwei Wolkenkratzer darstellende Kulissen ragten über den Verkaufsbuden und Fahrgeschäften, dienten als Blickfang für eine furchteinflößende Bahn, die im Volksmund als Das Tier mit zwei Rücken bekannt war. Claire fuhr einmal mit und kam blaß und zitternd heraus.
    Die Sensation kam, als sie an diesem Abend in ihrem Hotelzimmer lagen und Claire keuchend aus dem Schlaf auffuhr.
    »John, ich… ich…«
    Er wachte auf und begriff sofort. Lange hielt er sie in den Armen, streichelte sie und hörte zu, was sie an zusammenhanglosen Vorstellungsbildern bedrängt hatte. Das Hinabstürzen der Achterbahn verschmolz mit dem baumelnden, schreckenerregenden Abstieg durch den Schacht. Und ihr panikartiger, pfeifender Absturz endete in einem Maul, dem klaffenden Loch, das von glänzenden Hörnern bekrönt war und brüllend feurigen Atem schnob, die Zähne scharf und reißend, glutäugig und erfüllt von verzehrender Wut.
    »Solche Träume werden dich noch eine gute Weile plagen«, sagte er leise. »Aber mit der Zeit werden sie vergehen. Ich hatte sie auch.«
    »Wirklich?«
    »Natürlich.«
    »Du hast es nie gesagt.«
    »Für uns schickt es sich nicht. Es ist der Preis, den man dafür zahlen muß, daß man einen Penis hat.«
    Sie lachte. »Idiot!«
    »Nur soweit es dich betrifft.«
    Am nächsten Tag lud sie der Vorsitzende der New Yorker Sektion der Amerikanischen Physikalischen Gesellschaft zum Essen in ein neues vegetarisches Restaurant ein, dessen Ausstattung in opulentem Gegesatz zu dem sparsamen Menü stand. Claire erfuhr, daß das Lokal Geschäftsleuten eine Gelegenheit bot, sich mit einem moralisch erhebenden Essen zu kasteien. Jedes bißchen Gemüse wurde mit einer schwungvollen Verbeugung serviert, als ob es ein neuer Gang wäre. Beim Vorgericht – einem hühnchenförmigen Ding aus zerdrückten Nüssen – fragte der Vorsitzende John, ob er einverstanden wäre, wenn im Anschluß an den Vortrag, zu dem man ihn eingeladen hatte, eine Pressekonferenz stattfinden würde.
    »Ach nein.«
    »Sie würde nicht sehr lange dauern müssen«, sagte der andere besorgt.
    »Gut. Führen wir das zur asymptotischen Grenze von überhaupt nicht«, erwiderte John fröhlich.
    Am Nachmittag, während sie wartete und John in einem Nebenraum seine graphischen Darstellungen ordnete, schweifte Claire unter den Physikern umher. In mehreren großen Räumen waren Korridore von Schautafeln aufgebaut, und an jeder waren Schriften und graphische Darstellungen befestigt. Davor standen Männer und Frauen wie Basarhändler, eingerahmt von den Schriften, die sie verfaßt hatten, beantworteten Fragen, verteilten Vorabdrucke und verteidigten ihre Ideen. Das ganze hatte wenig gemein mit den Zusammenkünften von Archäologen, die gewöhnlich lange Vorträge hielten, die sie in abgedunkelten Räumen mit Diapositiven illustrierten und in denen Fragen nur kurz am Schluß beantwortet wurden. Dieses Platzhirsch-Verhaltensmuster der Vortragenden, die ihre Position hinter einem erhöhten Lesepult hinaustrompeteten, hatte sie immer irritiert. Die Physiker mit ihren anspruchslos aufgemachten Schriften und Tafeln, die sie offen zur Schau stellten, um ein Publikum anzulocken, schienen in dieser Hinsicht aufrichtiger und demokratischer als die Humanisten.
    Johns Vortrag wurde gut aufgenommen. Er sprach mit einem deutlichen Südstaatenakzent und erläuterte in knapper Form die wesentlichen Punkte seiner Darstellungen, die bereits von Gleichungen eingerahmt waren. Er hatte seine Annäherung an das Problem der Singularitäten mit Hilfe mathematischer Einheiten eigener Erfindung formalisiert, deren schwindelerregende Kompliziertheit von einer vereinfachten Notation Lügen

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