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Artefakt

Artefakt

Titel: Artefakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory Benford
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an die TWA schicken, daß sie unser Gepäck in Boston aufbewahren sollen.«
    John konzentrierte sich bewußt auf die ausgestellten Altertümer und verdrängte die staubig, unordentliche Außenwelt.
    Die eleganten Formen der Vasen und Schalen sagten ihm besonders zu. Einige hatten mit Juwelen besetzte Handgriffe. Die meisten Kunstgegenstände wie Gemmen und Halsketten erinnerten ihn an die mykenischen Kunstwerke, die Claire ihm gezeigt hatte, und so war er nicht überrascht, aus dem Museumsführer zu erfahren, daß die Spätphase der minoischen Kultur unter dem Einfluß der mykenischen Herrschaft gestanden hatte.
    Das goldene Zeitalter der minoischen Kultur lag zwischen 2000 und etwa 1550 v. Chr. Nach der Eroberung durch die indogermanischen mykenischen Griechen erlebte sie, nun auf Knossos beschränkt, noch einmal eine späte Blüte. Diese relativ kurze Epoche endete um 1425 v. Chr. in einer die ganze Insel heimsuchenden Katastrophe, die von späteren Geschichtsschreibern als »alles verschlingende Erdbeben und Flutwellen« geschildert wurde. Ein vorzüglich gearbeiteter goldener Anhänger faszinierte John. Zwei Bienen krümmten sich zueinander und bildeten die Kreisform des Anhängers, der deutlich zeigte, wie sie Pollen in einer Bienenwabe speicherten. Die kleinen Tierkörper schienen erfüllt von zweckbestimmtem, innerem Leben, und er spürte plötzlich die Realität dieser Vergangenheit, die Millionen von ringenden, sich abmühenden, schönheitsliebenden Menschen, die eine erste europäische Hochkultur geschaffen hatten, die als eine unsichtbare Gegenwart bis heute in diesen eleganten Gegenständen fortlebte. Er hatte die Vergangenheit oft als eine rohe, primitive Zeit angesehen, aber hier in diesen geschmackvollen, künstlerisch wie handwerklich hochstehenden Erzeugnissen fand er einen stummen, überwältigenden Gegenbeweis. Er wanderte zwischen den Fundstücken umher, die vom Untergang der großen Paläste kündeten, verkohlten Holzstücken und Getreidekörnern, Resten von Mobiliar, und atmete in einem Sinne den Hauch der Geschichte.
    »Sieht wie eine kalifornische Modetorheit aus, nicht?«
    Er erschrak, als er Claires Stimme hinter sich hörte. Er hatte die Statue einer Schlangengöttin betrachtet, die mit ausgestreckten Armen stand, sich windende Schlangen in den Händen, während andere sich um ihre Arme und ihren Körper und sogar um den Kopfschmuck ringelten. Ein enges Mieder über einem langen weiten Schürzenrock ließ die Brüste frei.
    »Einige Themen bleiben ewig aktuell«, sagte er.
    »Man vermutet, daß zu kultischen Zwecken Schlangen in Tonröhren – denen dort – gehalten und mit Milch ernährt wurden.« Als er sie verwundert anschaute, fügte sie hinzu: »Es ist sehr gut möglich, daß Schlangen in der Götterverehrung eine Rolle spielten, aber ich glaube, man hielt Schlangen zu medizinischen Zwecken. Ihr Gift kann für manche Leiden als Heilmittel Verwendung gefunden haben.«
    Sie führte ihn durch Räume mit Keramik. »Gebrannter Ton überdauert alles.«
    »Selbst moderne Materialien?«
    »Sicherlich. Unsere Toilettenschüsseln werden in zehntausend Jahren noch brauchbar sein. Oh, sehen Sie nur!«
    Die blaue Freskomalerei zeigte einen im Galopp angreifenden Stier mit drohend gesenktem Kopf. Eine Frau hatte ihn bei den langen, gebogenen Hörnern gepackt. Ein brauner Mann, der Schmuck trug, vollführte einen Salto über den Rücken des Stieres. Hinter dem Tier war eine Frau gerade auf den Füßen gelandet, die Arme noch von ihrem Überschlag angehoben. Die drei Phasen des »Todessprungs«. Die Darstellung war lebendig und lebensnah, die Komposition vibrierte von Energie.
    »Das machten die tatsächlich«, bemerkte Claire. »Es war ein Sport.«
    »Keine religiösen Zusammenhänge?«
    »Nun, das ist ohne schriftliche Überlieferungen schwer zu beurteilen. Diese Ereignisse könnten in Zusammenhang mit dem Mythos des legendären Helden Theseus stehen, der mit anderen jungen Männern und Frauen von Athen hierhergeschickt wurde um dem Minotauros geopfert zu werden. Wir wissen wenig über die Religion der alten Minoer, aber es gibt Anhaltspunkte dafür, daß sie im Matriarchat lebten und von den Priesterinnen der Mondgöttin regiert wurden. Bis die eindringenden mykenischen Griechen mit der Eroberung Kretas das Patriarchat durchsetzten.«
    »Und wir halten es für eine große Sache, wenn sich einer mit einem roten Tuch vor solch einen Stier hinstellt.«
    Sie lächelte. »Tun Sie den Matadoren nicht

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