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Artefakt

Artefakt

Titel: Artefakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory Benford
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unrecht. Jeder versucht das Risiko zu verringern, wenn er kann. Angeblich hat man bei Ausgrabungen Stierschädel gefunden, bei denen die Spitzen der Hörner abgesägt waren.«
    »Das findet man auch bei Viehhaltern, wenn sie einen Stier im Stall halten, wissen Sie. Es verhindert, daß sie die Wände beschädigen oder Menschen und andere Tiere verletzen. Leider geht man heutzutage immer mehr dazu über, die Rinder überhaupt zu enthornen. Eine Form von Verstümmelung, die Folge der Massentierhaltung ist.«
    »Tatsächlich? Woher wissen Sie das alles?«
    »Ackerbau und Viehzucht liegen den Leuten aus Georgia im Blut. Was stellte der Minotauros eigentlich dar?«
    »Dem Mythos nach war er halb Mensch, halb Stier. Der Meeresgott Poseidon gab dem König von Kreta, Minos, einen Stier, daß er ihn opfern sollte. Statt dessen behielt Minos ihn, und seine Frau verliebte sich in ihn.«
    »Sie haben recht, es war wie in Kalifornien.«
    Sie warf ihm einen Seitenblick zu. »Nein, Poseidon brachte sie dazu.«
    »Ich glaube, ich habe davon gehört.«
    »Sie bekam ein Kind von dem Stier – den Minotauros. Minos sperrte ihn in ein Labyrinth. Später, nachdem sein Sohn in einem Krieg von den Athenern getötet worden war, verlangte Minos, daß sie ihm als Tribut junge Leute als Opfergaben schickten. Die warf er dem Minotauros zum Fraß vor.«
    »Ein netter Mensch. Das ist der Punkt, wo Theseus ins Spiel kommt, nicht wahr?«
    »Richtig. Er war eines der Opfer. Allerdings hatte er sich bewaffnet und tötete den Minotauros. Er fand den Weg zurück aus dem Labyrinth, weil er einen Faden abgewickelt hatte, der ihm den Weg wies.«
    »Wie tötete er den Minotauros?«
    »Das wissen wir nicht. Er scheint bereits Übung gehabt zu haben – die Legende sagt, er habe vorher den feuerschnaubenden Stier von Marathon erschlagen.«
    »Zwei Stiere? Und wo war das Labyrinth?«
    »Ich werde es Ihnen zeigen.«
     
    Knossos lag eine kurze Taxifahrt außerhalb der Stadt, fern von den allgegenwärtigen Polizeiuniformen. Unterwegs wurden sie von einem Armeeposten kontrolliert.
    »Was machen wir, wenn sie unsere Pässe sehen wollen?« fragte John. »Die sind im Hotel.«
    »Dann werden wir das sagen.«
    Ein Uniformierter blickte in den Wagen, sah, daß sie Touristen waren und winkte sie durch. »Sehen Sie?« sagte Claire. »In der Provinz geht alles viel weniger hektisch zu.« Sie zeigte auf einen Esel, der im Schatten einer Stechpalme neben den Resten einer Mauer graste, unbeeindruckt von dem Fliegenschwarm, der ihn wie eine Wolke umgab.
    »Wozu soll die Verkehrskontrolle dann gut sein?«
    »Wahrscheinlich hat sie psychologische Gründe. Ich könnte mir denken, daß die Kreter von der neuen Einparteienherrschaft nicht sonderlich begeistert sein werden.«
    »Ich wollte, wir wären schon in Santorin. Wenn ich mir vorstelle, daß wir mit unseren vollen Namen auf der Passagierliste in Athen stehen, wird mir mulmig.«
    »Unser Schiff geht erst morgen früh um acht.«
    In dem weitläufigen Ruinengelände von Knossos begann John jedoch zu bedauern, daß er Kreta so bald verlassen mußte. Die ausgegrabenen Ruinen des ausgedehnten, teilweise rekonstruierten Palastes umfingen einen mit ihrer durchsonnten Stille, mit den vielfach verwinkelten Räumen, die sich auf immer neue Innenhöfe und Plätze öffneten, mit dem Duft von Wacholder und Pinien und dem unaufhörlichen Singsang der Zikaden. Eidechsen huschten über die weißen Mauerreste, und hoch am Himmel kreisten Raubvögel und ließen ihre hellen Rufe ertönen.
    »Schwer zu glauben, daß dies ein Labyrinth war.«
    »Dies ist nur der ausgegrabene Teil. Der Palastkomplex umfaßte fünfzehnhundert Räume.«
    »Deswegen glauben die Historiker, daß er von den Griechen zum Gegenstand einer Legende gemacht wurde?«
    »Nun, er war ohne Zweifel das komplizierteste Bauwerk, das ein Grieche je gesehen hatte. Und Minos ist die dynastische Bezeichnung für die Reihe der Heiligen Könige von Knossos. Sie waren sozusagen die Prinzgemahle der herrschenden Hohenpriesterin der Mondgöttin und wurden ursprünglich nach einjähriger Herrschaft der Göttin geopfert. Später durften sie am Leben bleiben, und man opferte an ihrer Statt Tiere.«
    »Und diese Leute hielten sozusagen zum Vergnügen einen menschenfressenden, feuerschnaubenden Stier im Haus?«
    »Es ist eine Legende, keine gesicherte Überlieferung, und hat im Laufe des Altertums sicherlich allerlei Veränderungen und Ausschmückungen erfahren.«
    »Dieses Labyrinth war der

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