Artemis Fowl
Juliet ein fleißiges und loyales Mitglied des Fowlschen Haushalts. Wieder mal ein Moment, um die Zerstreutheit seiner Mutter zum eigenen Vorteil zu nutzen.
»Du hast natürlich Recht, Mutter. Ich hatte es selbst schon seit einer Weile vor. Butler hat eine Schwester, die bestimmt hervorragend für die Stelle geeignet wäre. Ich glaube, ich habe schon von ihr gesprochen. Sie heißt Juliet.«
Angeline Fowl zog die Stirn in Falten. »Juliet? Doch, der Name kommt mir bekannt vor. Nun, jede wäre besser als dieses dumme Mädchen, das wir jetzt haben. Wann kann sie anfangen?«
»Sofort. Ich sage Butler, dass er sie aus dem Dienstbotentrakt holen soll.«
»Du bist ein guter Junge, Artemis. Komm, gib deiner Mama einen Kuss.«
Artemis schmiegte sich in die schattigen Falten des Kleids seiner Mutter. Sie duftete nach Parfüm, wie Blütenblätter in Wasser. Aber ihre Arme waren kalt und kraftlos.
»Ach, mein Lieber«, flüsterte sie, und bei dem Klang ihrer Stimme überlief Artemis eine Gänsehaut. »Ich höre Geräusche. Nachts. Sie krabbeln über das Kissen und in meine Ohren.«
Artemis verspürte wieder den Kloß im Hals. »Vielleicht sollten wir die Vorhänge aufziehen, Mutter.«
»Nein«, schluchzte seine Mutter und ließ ihn los. »Nein, dann könnte ich sie ja auch noch sehen.«
»Mutter, bitte.«
Doch es war zwecklos. Angeline Fowl war wieder in ihrer Welt verschwunden. Sie kroch in die hinterste Ecke des Betts und zog sich die Decke bis zum Kinn. »Schick das neue Mädchen zu mir.«
»Ja, Mutter.«
»Sag ihr, sie soll mir Gurkenscheiben und Wasser bringen.«
»Ja, Mutter.«
Angeline Fowl starrte ihn mit verschlagenem Blick an. »Und hör auf, mich Mutter zu nennen. Ich weiß nicht, wer du bist, aber mein kleiner Arty bist du ganz bestimmt nicht.«
Artemis blinzelte ein paar aufmüpfige Tränen weg. »Natürlich. Tut mir Leid, Mutt-. Tut mir Leid.«
»Hmm. Und komm ja nicht wieder, sonst hole ich meinen Mann. Der ist nämlich sehr mächtig, weißt du.«
»Sehr wohl, Mrs. Fowl. Sie werden mich nie wieder sehen.«
»Das will ich hoffen.« Plötzlich erstarrte Angeline Fowl. »Hörst du sie?«
Artemis schüttelte den Kopf. »Nein, ich höre nichts.«
»Sie kommen, um mich zu holen. Sie sind überall.«
Hastig versteckte sich Angeline Fowl unter ihrer Bettdecke. Artemis konnte ihr verängstigtes Schluchzen noch hören, als er die Eichentreppe hinunterging.
* * *
Wie sich herausstellte, war das Buch wesentlich widerspenstiger, als Artemis gedacht hatte. Es schien sich beinahe willentlich gegen ihn zu sträuben. Welches Programm er auch darüberlaufen ließ, der Bildschirm blieb leer.
Artemis druckte jede einzelne Seite aus und heftete sie an die Wände seines Arbeitszimmers. Manchmal half es, die Dinge auf Papier vor sich zu haben. Die Schrift war vollkommen anders als alles, was er je gesehen hatte, und doch wirkte sie merkwürdig vertraut. Der Text - offensichtlich eine Mischung aus Symbol- und Buchstabenschrift - zog sich ohne jede erkennbare Ordnung über die Seiten.
Was das Programm brauchte, war eine Art Bezugsrahmen, einen zentralen Punkt, auf dem es aufbauen konnte. Er nahm jedes einzelne Schriftzeichen und ließ es mit englischen, chinesischen, griechischen, arabischen und kyrillischen Texten vergleichen, ja sogar mit Ogham. Nichts.
Wütend und frustriert scheuchte Artemis Juliet aus dem Zimmer, als sie mit Sandwiches kam, und wandte sich den Symbolen zu. Das am häufigsten wiederkehrende Zeichen war eine kleine männliche Figur. Zumindest nahm er an, dass sie männlich war, doch so wenig, wie er über die Anatomie der Unterirdischen wusste, konnte sie ebenso gut weiblich sein. Ihm kam ein Gedanke. Artemis öffnete in seinem Übersetzungsprogramm die Datei mit antiken Sprachen und klickte auf Ägyptisch.
Endlich - ein Treffer. Das männliche Symbol ähnelte auffällig dem Gott Anubis in den Hieroglyphen der Grabkammer des Tutenchamun. Das passte zu den anderen Dingen, die er herausgefunden hatte. Die ersten von Menschen niedergeschriebenen Geschichten handelten von den Unterirdischen, und man ging allgemein davon aus, dass deren Zivilisation älter war als die der Menschheit, Anscheinend hatten die Ägypter einfach eine bereits existierende Schrift übernommen und sie ihren Bedürfnissen angepasst.
Es gab noch weitere Ähnlichkeiten. Doch die Zeichen wiesen gerade genug Unterschiede auf, um für den Computer nicht mehr erfassbar zu sein. Er würde sie manuell bearbeiten müssen.
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