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Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)

Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)

Titel: Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilal Sezgin
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wäre die Frage: Warum nehmen wir Menschen etwas, wenn wir sie töten? Weil ihnen an ihrer Zukunft liegt. Dann: Woher wissen wir, ob einem Wesen an seiner Zukunft liegt? Weil es in die Zukunft reichende Interessen hat. Und schließlich: Wie steht es um Tiere ohne ein Bewusstsein ihrer selbst? Insofern sie Wesen ohne Zukunftsbezug sind, nehmen wir ihnen bei einer Tötung auch nichts.
    Singer selbst folgert aus diesen Überlegungen, dass wir die allermeisten Tiere
nicht
töten dürfen; das gilt zum Beispiel für «Affen, Hunde und Katzen, Schweine, Robben und Bären» und überhaupt fast alle «von den Milliarden Fällen, in denen Menschen Jahr für Jahr nichtmenschlichen Geschöpfen den vorzeitigen Tod bringen».[ 15 ] Andere Philosophen hingegen vertreten zwar ein ähnliches Argument, meinen aber damit erklären zu können, warum sich das Lebensrecht von Tieren – wenn überhaupt – nur indirekt oder nachgeordnet begründen lässt.[ 16 ]
    Es ist nicht erst die Übertragung vom Menschen auf das Tier, die ich an diesem «Zukunftsargument» so wenig überzeugend finde, sondern schon die Argumentation in Bezug auf den Menschen. Welcher Pfeiler soll diese Brücke jetzt eigentlich tragen: die Tatsache, dass es Interessen mit Zukunftsbezug gibt – oder die, dass dabei der Zukunftsbezug bewusst ist? Beginnen wir mit den Interessen, Plänen oder Wünschen. Auch wenn ein Mensch stirbt, denken wir nichtvorrangig an das, was er für die Zukunft geplant hatte – sondern dass überhaupt etwas vor ihm lag. Gewiss, manchmal kommt einem der traurige Gedanke, dass jemand «noch so viel vorhatte». Aber damit verleiht man doch eher der Tragik Ausdruck, dass es diesem Menschen zu gönnen gewesen wäre, dies oder jenes oder einfach noch eine Menge zu erleben. Wir bedauern vorrangig, dass der Mensch tot ist, und nicht, dass seine Pläne nicht mehr zur Ausführung kommen. Beim Tod von jemandem, der wenig vorhatte, sagen wir auch nicht umgekehrt: Schade, dass er unter den Bus geriet – aber na ja, er hatte für diesen Sommer eh noch nichts gebucht.
    Welches Argument soll sich aus dem Vorhandensein von Zukunftswünschen überhaupt ableiten lassen? Haben ein antriebsschwacher Mensch in einer depressiven Phase oder ein Teenager, der den Sommer nach seinem Abi nur bekifft im Hobbykeller der Eltern herumhängt und null Bock auf Zukunft hat, ein geringeres Recht auf Leben? Wäre es nicht sonderbar, den Wert eines Lebens danach zu bemessen, wie viele Wünsche oder Projekte ein Wesen hat, wie intensiv er oder sie alles empfindet? Man denke allein an den ALS-Patienten, der nicht mehr sehr viel tun kann.
    Die Menge oder Komplexität von Wünschen zum Kriterium für den Wert des Lebens zu machen, führt zu den absurdesten, unmoralischsten Konsequenzen und entspricht auch nicht unserer Lebenserfahrung. Gewiss, in ganz bestimmten Zusammenhängen denken wir an die «Menge» Zukunft, die jemand noch vor sich hat. Wir empfinden es als tragischer, wenn ein junges Wesen stirbt, als wenn jemand schon alt ist. Vielleicht empfinden wir es auch als tragischer, wenn eine Florence Nightingale stirbt als ein Griesgram, der all seinen Nachbarn das Leben zur Hölle gemacht hat.
    Dennoch hat der Griesgram dasselbe Recht auf Leben.[ 17 ] In tragischen Situationen, etwa bei einem Hausbrand, würden wir wahrscheinlich eher das Kind zu retten versuchen;aber tragische Situationen sind schlechte Anhaltspunkte für moralische Richtlinien, weil sie oft Situationen darstellen, in denen man nicht wirklich richtig, nicht befriedigend handeln kann. Oft versuchen wir dann nur, das weniger Schlechte zu tun, oder das, mit dem wir im Nachhinein am ehesten leben können; gewisse Faustregeln geben da nicht mehr und nicht weniger als eine notdürftige Orientierung.
    Versuchen wir also, das Gewicht des Zukunfts-Arguments von dem anderen Pfeiler tragen zu lassen, dem bewussten Zukunftsbezug. Gemeint wäre also: Nur ein Wesen, das über Selbst-Bewusstsein verfügt – also weiß, dass es ein kontinuierliches Ich in Raum und Zeit ist –, kann ein Wissen von seiner Zukunft haben; und nur solche Wesen können wir auch schädigen. Also nur jemanden, der weiß, dass er eine Zukunft hat und sie bewusst erwartet. Das Kriterium des
bewussten
Wissens ist wichtig, weil ja auch das Eichhörnchen Vorbereitungen für die Zukunft trifft, wenn es Nüsse vergräbt, oder die Zugvögel, die sich ein Fettpolster anfressen, um die Reise in den Süden anzutreten. Man müsste ihnen unterstellen, dass

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