Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)
sollte es das sein? Ein empfindungsfähiges Wesen ist Subjekt eines eigenen Lebens, und es will leben. Ob dieses Subjekt nunhochintelligent oder eher ein Einfaltspinsel ist, ob es die Welt im Flug betrachten oder sich nur auf dem Erdboden fortbewegen kann, ob es viele Freunde und Nachkommen hat oder wenige, ob es jeden Tag tolle Abenteuer erlebt oder nur vor dem Fernseher sitzt, ob es überall gute Laune verbreitet oder eine Plage für seine ganze Umgebung ist – all das sind völlig irrelevante Kriterien um zu beurteilen, ob jemand ein Recht auf Leben hat.[ 13 ] Es gibt schlicht keine Kriterien für das Recht auf Leben, außer dass ein Individuum bewusste Empfindungen hat, dass den biologischen körperlichen Vorgängen also subjektive Wahrnehmungen korrespondieren, somit jemand «da» ist, der sein Leben lebt.
Ich habe übrigens die obige Aufzählung von Intelligenz, Fliegen-Können, Familie, Abenteuer etc. ganz ohne Hintergedanken angefangen und erst im Verlauf gemerkt: All diese Merkmale können genauso gut auf ein Tier Anwendung finden wie auf einen Menschen. Selbst
wenn
wir völlig irrig versuchen würden, erfülltere Leben gegen weniger erfüllte abzuwägen, fiele die Bilanz keineswegs immer zugunsten des
Homo sapiens
aus. Wer sieht denn zum Beispiel mehr, wer verarbeitet mehr optische Informationen: ein Fliegenauge mit seinem zeitlichen Auflösungsvermögen von 250 Reizen pro Sekunde oder ein Menschenauge mit seinen 30? Wer hat denn das aufregendere Leben: Die Inhaberin einer Edelboutique oder ein Wildschwein im Wald? Wer hat im Laufe dieses Tages mehr und intensiveres Glück empfunden und mehr geleistet: Die Schwalbe, die ihren zahlreichen hungrigen Kindern zig Mal Nahrung in den Schnabel gestopft hat, oder ich, die ich es gerade mal geschafft habe, meine Post zu öffnen, einen Artikel zu korrigieren und mir ein halbwegs passables Mittagessen zu kochen? Wer macht denn optisch eine bessere Figur, ist also eine größere ästhetische Bereicherung für diese Welt: Irgendein x-Beliebiger von uns sieben Milliarden Menschen oder einer von 500.000 Afrikanischen Elefanten?
Doch auch so herum – zugunsten des Tiers – ist die Diskussion vollkommen müßig. Es gibt keine Checkliste für den Wert des Lebens. Es gibt auch keinen Punkt im Universum, von dem aus man sagen könnte, ein seltener Elefant sei mehr (oder weniger) wert als ein Vertreter der sich üppig vermehrenden Gattung Mensch. In unserer Ethik, die ihren Ausgangspunkt darin sieht, dass jedes empfindungsfähige Wesen Subjekt seines eigenen Lebens und damit Dreh- und Angelpunkt der Berücksichtigung seiner spezifischen, gegen andere nicht aufrechenbaren Interessen ist, ist das Individuum eben auch Schlusspunkt solcher Begründungen. Der letzte Grund. Es kommt nicht darauf an, wie erstrebenswert oder bewundernswert oder wertvoll ein Leben für andere aussieht. Wie der kanadische Philosoph Will Kymlicka einmal gesagt hat: «Das Recht auf Leben beruht in keiner Weise auf dem Wert, den dieses Leben für andere hat… Tiere haben das Recht zu leben, weil ihr Leben wertvoll ist
für sie.»
[ 14 ]
Zukunftspläne und Lebenswille
Fairerweise sollen jetzt aber auch die zu Wort kommen, die anderer Meinung sind. Ich befinde mich hier in einer etwas heiklen Situation, weil ich in meiner Einleitung angekündigt hatte, dass wir uns von der Philosophie
helfen
lassen sollten, zu konsistenten Positionen in der Tierethik zu finden. Allerdings habe ich den Eindruck, dass gerade bei der Frage des Tötens und des Tötungsverbots einige akademische Philosophen unwillentlich dazu beigetragen haben, die Sache eher unklarer zu machen. Ich möchte ihre Position aber nicht aussparen, weil man ihr in tierethischen Diskussionen immer noch regelmäßig begegnet.
Das fragliche Argument geht in seiner bekanntesten Form auf Peter Singer zurück, wird aber auch von einigen anderen vertreten. Demzufolge unterscheidet sich das Töten einesTiers deutlich von dem eines Menschen, wird teilweise sogar als moralisch unproblematisch angesehen, weil Tiere keine in die Zukunft reichenden Pläne oder Interessen hätten. Demnach wäre das Töten eines Lebewesens darum falsch, weil man ihm etwas nimmt, auf das es als lebendes Wesen bereits bewusst Bezug nimmt.
Bei dieser Argumentation steht meist der Begriff des «Interesses» im Mittelpunkt; es sind aber wohl nicht nur einzelne Interessen gemeint. Vielmehr funktioniert der Begriff des Interesses wie eine gedankliche Brücke. Deren erster Pfeiler
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