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Arthur & George

Arthur & George

Titel: Arthur & George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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wenig modifizieren wird … doch sie hört anscheinend gar nicht mehr zu. Verblüfft hält er inne.
    »Ich würde gern Skifahren lernen«, sagt sie.
    Auch das kommt unerwartet.
    »Ich habe einen ausgezeichneten Gleichgewichtssinn. Ich reite seit meinem dritten Lebensjahr.«
    Arthur ist ein wenig pikiert, weil er seine Geschichte über das Reißen seiner Knickerbocker nicht zu Ende erzählen darf, wozu auch eine Imitation seines Schneiders gehört hätte, der ihm versichert, wie haltbar Harris-Tweed sei. Daher erklärt er mit Bestimmtheit, es sei höchst unwahrscheinlich, dass Frauen – womit er Frauen der Gesellschaft meint, im Gegensatz zu Schweizer Bäuerinnen – je Skifahren lernen könnten, da diese Betätigung körperliche Kraft erfordert und mit Gefahren verbunden ist.
    »Ach, ich bin ziemlich stark«, entgegnet sie. »Und vermutlich habe ich einen besseren Gleichgewichtssinn als Sie bei Ihrer Größe. Es ist doch sicher von Vorteil, wenn man einen niedrigeren Schwerpunkt hat. Und da ich längst nicht so schwer bin, ist der Schaden bestimmt weniger groß, falls ich einmal stürze.«
    Hätte sie »nicht so schwer« gesagt, hätte er diese Keckheit vielleicht übel genommen. Aber weil sie »längst nicht so schwer« sagt, bricht er in Gelächter aus und verspricht, ihr – eines Tages – Skifahren beizubringen.
    »Ich nehme Sie beim Wort«, antwortet sie.
    Eine recht merkwürdige Begegnung, sinniert er in den folgenden Tagen. Diese Frau ist nicht auf seinen Ruhm als Schriftsteller eingegangen, hat das Gesprächsthema bestimmt, ihn bei einer seiner beliebtesten Geschichten unterbrochen, einen Ehrgeiz an den Tag gelegt, den manch einer nicht gerade ladylike nennen würde, und über seine Körpergröße gelacht – nun ja, so gut wie gelacht. Und doch hat sie es verstanden, das alles unbefangen, ernsthaft und bezaubernd zu tun. Arthur beglückwünscht sich dazu, dass er nicht gekränkt gewesen ist, auch wenn keine Kränkung beabsichtigt war. Er spürt etwas, das er seit Jahren nicht mehr kennt: die Selbstzufriedenheit nach einem erfolgreichen Flirt. Und dann vergisst er sie.
    Sechs Wochen später kommt er in eine musikalische Nachmittagsgesellschaft, und sie singt gerade eins der Schottischen Lieder von Beethoven, wobei ein kleiner Bursche mit weißer Krawatte sie gewissenhaft begleitet. Arthur findet ihre Stimme hervorragend, den Pianisten manieriert und eitel. Er zieht sich in den Hintergrund zurück, damit sie nicht sieht, wie er sie beobachtet. Nach ihrem Vortrag treffen sie im Beisein anderer zusammen, und sie verhält sich mit einer Höflichkeit, die nicht recht erkennen lässt, ob sie sich an ihn erinnert oder nicht.
    Sie gehen auseinander; wenige Minuten später, als ein entsetzlicher Cellist im Hintergrund knarzt, treffen sie wieder zusammen, diesmal allein. Sie sagt sofort: »Ich merke schon, ich werde mindestens neun Monate warten müssen.«
    »Worauf?«
    »Auf meinen Ski-Unterricht. Es gibt jetzt keinen Schnee mehr.«
    Er findet das nicht dreist oder kokett, obwohl er das eigentlich sollte.
    »Denken Sie dabei an den Hyde Park?«, fragt er. »Oder an den St. James? Oder vielleicht an die Hänge von Hampstead Heath?«
    »Warum nicht? Ich richte mich ganz nach Ihnen. Schottland. Oder Norwegen. Oder die Schweiz.«
    Sie müssen wohl, von ihm unbemerkt, eine Balkontür durchschritten, dann eine Terrasse überquert haben und stehen jetzt unter ebender Sonne, die längst jede Hoffnung auf Schnee zunichte macht. Nie hat ihn ein schöner Tag mehr verdrossen.
    Er schaut hinunter in ihre haselgrünen Augen. »Wollen Sie mit mir flirten, junge Dame?«
    Sie erwidert seinen Blick ungeniert. »Ich rede mit Ihnen über Skifahren.« Doch man könnte meinen, das sei nur der formale Sinn ihrer Worte.
    »Denn wenn Sie das wollen, sollten Sie Acht geben, dass ich mich nicht in Sie verliebe.«
    Er weiß kaum, was er da sagt. Halb ist das sein voller Ernst, und halb kann er sich nicht vorstellen, was in ihn gefahren ist.
    »Ach, das sind Sie doch schon. In mich verliebt. Und ich in Sie. Daran gibt es keinen Zweifel. Überhaupt keinen Zweifel.«
    Damit ist es also ausgesprochen. Und für eine Weile werden keine weiteren Worte gebraucht oder gesagt. Wichtig ist allein, wie er sie wiedersehen kann und wo und wann, und das muss arrangiert werden, bevor man sie unterbricht. Er war aber nie ein Frauenheld oder ein Verführer und hat keine Ahnung, wie man das sagt, was nötig ist, um eine Stufe weiter zu kommen als die, auf der er

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