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Arthur & George

Arthur & George

Titel: Arthur & George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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bildete; er trug eine grüne, mit den Jahren fleckig gewordene Schürze. Er ließ weder Herzlichkeit noch Misstrauen erkennen. Brookes wollte sie schon in ein Hinterzimmer führen, als Sir Arthur seinem Sekretär heimlich einen Stoß gab und erklärte, er brauche dringend einen Stiefelkratzer. Er zeigte heftiges Interesse an der zur Verfügung stehenden Auswahl, und als Kauf und Verpackung abgeschlossen waren, tat er, als sei der Rest ihres Besuchs nichts als ein glücklicher nachträglicher Einfall.
    Im Lagerraum kramte Brookes so lange brummelnd in Schubladen herum, dass Sir Arthur sich schon fragte, ob er noch eine Zinkwanne und ein paar Besen kaufen müsste, um die Angelegenheit zu beschleunigen. Schließlich aber förderte der Eisenwarenhändler ein mit Bindfaden verschnürtes kleines Bündel stark verknitterter Briefe zutage. Arthur erkannte das Papier sofort, auf dem sie geschrieben waren; dieselbe billige Kladde war auch für die Briefe ans Pfarrhaus benutzt worden.
    Brookes erinnerte sich, so gut es ging, an den fehlgeschlagenen Erpressungsversuch vor so langer Zeit. Angeblich hatten sein Sohn Frederick und ein weiterer Junge auf dem Bahnhof von Walsall eine alte Frau angespuckt, und er sollte Geld an das dortige Postamt schicken, wenn er eine strafrechtliche Verfolgung seines Sohnes vermeiden wollte.
    »Sie haben damals nichts unternommen?«
    »’türlich nicht. Schauen Sie sich die Briefe doch an. Sehen Sie sich die Handschrift an. Das war nur ein dummer Streich.«
    »Sie haben nie daran gedacht zu bezahlen?«
    »Nein.«
    »Haben Sie erwogen, zur Polizei zu gehen?«
    Brookes blies verächtlich die Backen auf. »Keine Minute. Nicht mal den Bruchteil einer Minute. Ich hab das ignoriert, und es ist vorbeigegangen. Aber der Pfarrer, der hat einen Riesenwirbel gemacht. Ist überall rumgelaufen und hat sich beschwert, hat an den Chief Constable geschrieben und so weiter, und was hat er davon gehabt? Hat alles nur noch schlimmer gemacht, stimmt’s? Für ihn und seinen Jungen. Nicht, dass ich ihm die Schuld gebe an dem, was passiert ist, verstehen Sie. Er hat nur nie begriffen, was das hier für ein Dorf ist. Er ist ein bisschen zu … sehr in seinen Ansichten befangen, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
    Arthur äußerte sich dazu nicht. »Und warum hatte es der Erpresser Ihrer Meinung nach auf Ihren Jungen und den anderen abgesehen?«
    Wieder blies Brookes die Backen auf. »Wie gesagt, Sir, das ist jetzt Jahre her. Zehn? Vielleicht auch mehr. Fragen Sie doch meinen Jungen, nun ja, er ist jetzt schon ein Mann.«
    »Wissen Sie noch, wer dieser andere Junge war?«
    »Wozu sollte ich mir das merken.«
    »Wohnt Ihr Junge noch hier?«
    »Fred? Nein, Fred ist längst fort. Er wohnt jetzt in Birmingham. Arbeitet am Kanal. Will den Laden nicht übernehmen.« Der Eisenwarenhändler schwieg kurz und fügte dann mit jäher Heftigkeit hinzu: »Der kleine Drecksack.«
    »Und hätten Sie vielleicht seine Adresse?«
    »Vielleicht. Und hätten Sie vielleicht noch einen Wunsch außer dem Stiefelkratzer?«
    Auf der Rückfahrt nach Birmingham war Arthur in Hochstimmung. Immer wieder sah er die drei Päckchen neben Wood an, alle in braunes Ölpapier eingeschlagen und mit Bindfaden verschnürt, und lächelte über den Lauf der Welt.
    »Was halten Sie von unserem Tagewerk, Alfred?«
    Was er davon hielt? Was war die naheliegende Antwort? Nun ja, was war die wahre Antwort? »Um ganz ehrlich zu sein, ich glaube, wir haben keine großen Fortschritte gemacht.«
    »Nein, besser noch. Wir haben in mehrere verschiedene Richtungen keine großen Fortschritte gemacht. Und wir brauchten wirklich einen Stiefelkratzer.«
    »Ja? Ich dachte, wir hätten einen in Undershaw.«
    »Seien Sie kein Spielverderber, Woodie. Es kann in einem Haushalt nie genug Stiefelkratzer geben. Eines schönen Tages ist er für uns der Edalji-Kratzer, und wenn wir dann unsere Stiefel daran abputzen, denken wir jedes Mal an dieses Abenteuer zurück.«
    »Wenn Sie meinen.«
    Arthur überließ Wood seiner seltsamen Stimmung und schaute aus dem Fenster auf die vorbeiziehenden Felder und Hecken. Er versuchte, sich George Edalji in diesem Zug vorzustellen, unterwegs ins Mason College, dann zu Sangster, Vickery & Speight, dann zu seiner eigenen Kanzlei in der Newhall Street. Er versuchte, sich George Edalji in dem Dorf Great Wyrley vorzustellen, wie er über die Feldwege streifte, zum Stiefelmacher ging, bei Brookes Einkäufe erledigte. Der junge Solicitor hätte – auch

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