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Artikel 5

Artikel 5

Titel: Artikel 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristen Simmons
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weiten, offenen Himmel.
    »Ja.« Chase runzelte die Stirn und lehnte sich an die obere Stufe. Ich wollte ihn nicht bedrängen; mir war bewusst, dass manche Leute nicht gern über den Krieg sprachen. Als ich gerade das Thema wechseln wollte, ergriff er wieder das Wort.
    »Weißt du, mein Chemielehrer hat versucht uns einzureden, der Fliegeralarm wäre nur Teil einer Übung. Er war immer noch voll und ganz damit beschäftigt, von uns zu verlangen, dass wir unsere Laborblätter einreichen, als die Beben angefangen haben. Bis wir endlich draußen waren, war der Rauch so dicht, dass wir nicht einmal mehr den Schulparkplatz sehen konnten.« Er brach ab und schüttelte den Kopf. »Jedenfalls haben sie uns alle in Bussen zu dieser alten Arena im Westen der Stadt gefahren und uns zwei Minuten Zeit gelassen, um zu Hause anzurufen, und mein Onkel hat gesagt, ich soll ihn in diesem Restaurant in Elgin treffen, also bin ich los. Bin per Anhalter hingefahren. War auch gut so. Das Bombardement hat drei Tage gedauert.«
    »Was, du bist per Anhalter hingefahren? Wie alt warst du, fünfzehn?«
    »Sechzehn.« Er zuckte mit den Schultern, als wäre dieses Detail vollkommen unwichtig. »Als wir uns in Elgin getroffen haben, haben wir erfahren, dass Chicago im Südosten über die I -90 von Gary aus angegriffen wurde. Was übrig war, war nur … Chaos. Wir sollten in irgendeine Stadt mitten in Indiana gebracht werden, aber wir haben es nur bis South Bend geschafft, ehe die Busse woandershin gerufen wurden. Da sind wir eine Weile geblieben; mein Onkel hat als Tagelöhner ein bisschen Geld verdient, aber mich wollten sie nicht, weil ich zu jung war.
    Und dann hat er mir gesagt, es täte ihm leid, aber er könne sich nicht mehr um mich kümmern. Er hat mir sein Fahrrad gegeben und mir gesagt, ich solle mich wieder bei ihm melden.«
    Ich starrte ihn aus riesigen Augen an.
    »Aber er konnte doch nicht … was? Bestimmt hasst du ihn jetzt.«
    Wieder zuckte Chase nur mit den Schultern. »Einer weniger, um den man sich Sorgen machen muss, ein Maul weniger zu stopfen.« Als er meinen entsetzten Gesichtsausdruck sah, richtete er sich auf. »Schau, als Baltimore und DC gefallen und all die Leute landeinwärts gezogen sind und sich in Chicago gedrängt haben, da wusste er, dass es schlimm werden würde. Er wusste es einfach. Darum hat er mich gelehrt zu kämpfen. Er und Mom sind in Armut aufgewachsen, und er war, na ja, erfinderisch.« Er lachte schuldbewusst und wandte den Kopf ab, und ich fragte mich umso mehr, was er gemeint haben mochte.
    »Ich hätte mich zu Tode geängstigt«, sagte ich.
    Er nahm seine Mütze ab und klopfte damit auf sein Knie.
    »Seine Familie zu verlieren … da bekommt man ein ganz anderes Verhältnis zu solchen Gefühlen wie Angst«, sagte er. »Außerdem bin ich klargekommen. Ich habe mich immer in den Randbezirken von Chicago aufgehalten, bin von einer Zeltstadt in die andere gezogen, von einem Rotkreuzlager in das nächste. Und ich habe für Leute gearbeitet, die keine Fragen gestellt haben, und mich von Sozialarbeitern und Pflegestellen ferngehalten. Und ich habe an dich gedacht.«
    »An mich?«, schnaufte ich völlig verunsichert. Total verblüfft darüber, wie gewöhnlich mein Leben doch war. Und voller Ehrfurcht vor dem, was er durchgemacht hatte. Jetzt endlich drehte er sich zu mir um und sah mir zum ersten Mal in die Augen. Und als er nun wieder sprach, klang seine Stimme sanft und gänzlich ungeniert.
    »An dich. An das Einzige in meinem Leben, das sich nicht geändert hat. Als alles zum Teufel gegangen ist, warst du alles, was mir geblieben ist.« Ich brauchte einige Herzschläge, bis ich begriff, dass er es ernst meinte. Und als ich das tat, musste ich mich ermahnen, weiterzuatmen.
    Ich verlagerte das Gewicht auf meinem Sitz. Inzwischen kam mir mein Leben nicht mehr so gewöhnlich vor. Jetzt wusste ich, was es bedeutete, seine Familie zu verlieren, und bereits morgen würde jeder Soldat im Land unsere Fotos haben.
    Hätten wir die Highways nehmen können, so hätten wir die Grenze von Virginia schon bei Sonnenuntergang überqueren können, wenn alle anderen die Straße bereits wegen der Ausgangssperre verlassen hätten. Wie die Dinge aber lagen, blieb Chase auf den abgelegenen Nebenstraßen, die uns eher nach Osten als nach Süden führten, darauf bedacht, jedem potenziellen Zusammentreffen mit einer MM -Patrouille aus dem Weg zu gehen.
    Am späten Nachmittag brannte die Sonne dann endlich durch die

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