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Artikel 5

Artikel 5

Titel: Artikel 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristen Simmons
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beeilen musste, aber nicht imstande, der Versuchung zu widerstehen, mich ihrer Echtheit zu versichern. Ich las mein bedeutungsloses Gerede: was Beth und ich taten, wie es in der Schule lief, Gespräche, die ich mit meiner Mutter geführt hatte. Meine eigenen Worte riefen eine Flut nostalgischer Empfindungen wach. Der harte Küchentisch, der Geruch der Vanillekerzen, wenn ich noch spät in der Nacht einen Brief geschrieben hatte. Die neuerliche Sorge um seine Sicherheit. Die Sehnsucht, die ich nach ihm verspürt hatte.
    Von einem Teil dieser Dinge hatte ich ihm geschrieben. Dass ich ihn vermisste. Dass ich es kaum erwarten konnte, von ihm etwas über sein neues Leben zu erfahren. Dass ich ständig an ihn denken musste. Und jeden Brief hatte ich mit »In Liebe, Ember« geschlossen, und das war die reine Wahrheit gewesen. Ich hatte Chase Jennings geliebt.
    Nun dachte ich darüber nach, wie er mich ins Abseits gestellt hatte, und darüber, ob ich ihn immer noch liebte.
    All diese Dinge verwirrten mich so sehr, dass es mir im Herzen wehtat. Er war unbeständig. Er regte mich auf. Er war herrisch und überbehütend und gab sich in jeder Hinsicht nebulös. Niemand machte mir mehr zu schaffen als er.
    Weil mir niemand mehr bedeutete als er. Niemand außer meiner Mutter, aber die Liebe, die ich ihr gegenüber empfand, fühlte sich vollkommen anders an. Wie das Bedürfnis nach Sauerstoff und das Bedürfnis nach Wasser.
    Irgendwie war ich verdrossen. Warum hatte er diese Briefe aufbewahrt? Manchmal kam es mir vor, als könnte er es in meiner Nähe kaum aushalten, und doch schleppte er Erinnerungsstücke an unsere Beziehung durch seinen Dienst und das halbe Land mit sich herum. Wie groß war der Abstand zwischen dem alten Chase, meinem Chase, und dem Soldaten wirklich?
    Und was würde die Hoffnung, dass ich ihm doch noch etwas bedeutete, mich kosten?
    Ich legte die Briefe zurück in den Roman und achtete darauf, sie genauso zurückzulassen, wie ich sie vorgefunden hatte. Als ich das tat, fiel mein Blick auf einen Textausschnitt, Zeilen eines Briefes, den der Ich-Erzähler seiner Angebeteten geschrieben hatte:
    »Doch trag ich, o Elizabeth, ein Geheimnis im Busen, und es ist von fürchterlicher Art. Sobald es Dir erst offenbar ist, wird Dich Entsetzen bis ins Mark durchschaudern, ja, Du wirst, weit entfernt davon, ob meines Elends verwundert sein, nur mehr darüber staunen, dass ich unerachtet meines Duldertumes noch immer am Leben bin!«
    Ich schauderte unwillkürlich. Wie es aussah, war ihm meine falsche Identität nicht aus heiterem Himmel in den Sinn gekommen.

»Warum bist du so groß?«, fragte Ronnie staunend. Er stand im Esszimmer auf einem Stuhl und versuchte, sich so groß zu machen wie Chase, was ihm aber nicht gelang.
    »Weil ich so viel Gemüse esse«, log Chase, woraufhin Mary Jane ihm den hochgereckten Daumen zeigte. »Stört es Sie, wenn ich mich hier hinsetze?« Er hatte sich einen Platz an der Wand ausgesucht, von dem aus er den ganzen Raum im Auge behalten konnte.
    »Nee«, sagte der Junge.
    »Wo bleiben deine Manieren, Ronnie«, tadelte Mary Jane, während ich ihr beim Tischdecken half.
    »Nein danke «, korrigierte sich Ronnie.
    Sie lachte nervös. »Ich meinte, bitte setz dich. Hierher, zu deiner Mutter.« Offensichtlich war ihr daran gelegen, dass ihr Sohn – der Einzige, der sich mit dem gemeinsamen Abendessen rundum wohlzufühlen schien – zwischen Mutter und Vater saß. Womit ich zu Chase auf die für Fremde reservierte Tischseite verbannt war.
    Es passte mir überhaupt nicht, dass Patrick uns nicht gleich nach Lewisburg gefahren hatte. Seine ursprüngliche Freundlichkeit war wie weggeschwemmt, und nun vermittelte er mir das deutliche Gefühl, dass er bereute, uns hereingebeten zu haben.
    Wenn ich nur daran dachte, dass ich auf eben diese Art von Freundlichkeit gebaut hatte, als ich fortgelaufen war.
    Wir versammelten uns um den Tisch herum, und Ronnie lieferte die langsamste Johnny-Appleseed-Interpretation ab, die ich je zu hören bekommen hatte. Die Spannung nahm derweil noch weiter zu. Schließlich aßen wir und konnten uns endlich auf etwas anderes als einander konzentrieren. Ich hatte meinen ersten Bissen Schmorbraten kaum geschluckt, als ich mir die Gabel schon wieder in den Mund schob, entschlossen, so viel zu essen, wie ich nur konnte, immerhin wussten wir nicht, wann wir wieder mit einer heißen Mahlzeit rechnen konnten.
    Das Reden überließ ich größtenteils Chase: Er war der bessere

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