Artikel 5
einem Traktor vor den riesigen Toren. Gegenüber grasten, im schwindenden Tageslicht kaum erkennbar, ungefähr dreißig schwarze Kühe auf einer Weide.
»Macht es Ihnen etwas aus, Ihre Waffe hierzulassen, Jacob?«, fragte Patrick und blieb vor der Scheune stehen. »Nur, bis wir uns auf den Weg machen. Wir haben nicht gern Waffen im Haus, solange Ronnie noch so klein ist.«
Ich hätte beinahe gesagt, dass das Kind durchaus nicht zu jung war, um erschossen zu werden, hielt mich aber zurück, zumal mir klar war, dass Patricks Bitte viel mehr mit seinen Bedenken uns gegenüber zu tun hatte als mit dem Alter seines Sohns. Ich spürte, wie Chase sich hoch aufrichtete, doch dann nickte er. Er hatte schließlich immer noch seinen Schlagstock und das Messer.
»Klar. Kein Problem.«
Patrick öffnete das knarrende Scheunentor. Sofort schlug uns der muffige Geruch der Heuballen entgegen, die die splitternden Holzwände säumten. Vor uns stand auf der freien Fläche ein Motorrad mit breitem, chromblitzendem Lenker auf dem Seitenständer. Ein nostalgischer Schauer befiel mich bei seinem Anblick.
»Wow. Die Produktion der Sportster wurde schon vor dem Krieg eingestellt«, sagte Chase ehrfurchtsvoll.
Patrick lachte. »Nicht übel. Sie kennen sich aus mit Motorrädern, was?«
»Ich hatte eine Crossover. Sie hatte kein Spezialgetriebe und …«
»Dad, komm schon. Wir müssen Mom rausholen!«, fiel ihm Ronnie ins Wort.
Das Lächeln, das das Kompliment auf Patricks Lippen gezaubert hatte, verblasste, und er öffnete einen Schrank in der hintersten Ecke mit einem Schlüssel, den er aus der Tasche gezogen hatte. Im obersten Fach lag ein Jagdgewehr. Er legte die Waffe des Diebs dazu, und nach einem Augenblick des Zögerns ließ Chase seine Pistole ebenfalls hier.
Das Haus der Loftons war warm und geräumig. Im Wohnzimmer, das sich gleich hinter der Waschküche befand, lagen allerlei Spielzeugautos und Actionfiguren. In die Wand war ein Kamin eingelassen, auf dessen Sims dutzendweise Familienbilder standen, die sich alle durch strahlende Gesichter auszeichneten.
Chase legte den Rucksack ab, und wir zogen unsere Stiefel aus. Ich sah ihn mit hochgezogenen Brauen an, und er spiegelte mir meine eigene Einschätzung wider.
Die Loftons hatten Geld.
Sie waren nicht reich. Wahrscheinlich hatten sie sogar weniger, als wir zu der Zeit besessen hatten, als meine Mutter noch einen Job hatte. Es gab nicht einmal einen Fernseher im Wohnzimmer. Aber ich sah eine Glasvase und eine dekorative Lampe auf einem Beistelltisch, überall lagen Spielzeuge und Bücher herum, Kleidung zum Wechseln, die der Junge – Ronnie – zu einem früheren Zeitpunkt ausgezogen haben musste, verteilte sich über den Boden. Derartige Dinge hatte ich verkauft, als es knapp wurde. Die Tatsache, dass sie das nicht hatten tun müssen, bedeutete, dass sie derzeit bedeutend besser zurechtkamen als der überwiegende Teil ihrer Landsleute.
In der Küche gab es direkt über einer Kochinsel ein Oberlicht. Die Wände waren burgunderrot, Handtücher und Küchengeräte modisch schwarz. Ein köstlicher, salziger Geruch stieg von einem übergroßen Dampfgarer auf einer Marmorarbeitsplatte auf. Es war lange her, seit ich zum letzten Mal Fleisch gegessen hatte; in den Suppenküchen gab es so etwas nicht, und mit der üblichen Stromversorgung hatten wir keinen Kühlschrank betreiben können. Es kostete mich all meine Beherrschung, nicht den Kopf in den Dampfgarer zu stecken. Das vertraute Brummen eines Generators außerhalb des Hauses lenkte mich ab.
Ich konnte nicht erkennen, ob sich mein Magen vor Hunger verkrampfte oder ob es sich um eine nervöse Reaktion handelte. Ein Generator ? Im gewerblichen Bereich gab es sie überall, aber nicht in Privathäusern. Wer waren diese Leute? Freunde des Präsidenten? Sie hatten jedenfalls offensichtlich ein gutes Leben; die Preise für Rindfleisch waren ins Unermessliche gestiegen.
»Liebling!«, rief Patrick. »Mary Jane! Alles in Ordnung. Du kannst rauskommen!« Er legte seine Schlüssel in eine Keramikschale neben dem Kühlschrank.
Ich hörte ein Schloss auf der anderen Seite des Korridors klicken, dann scharrte eine Tür über den Teppich.
»Wenn es Schwierigkeiten gibt, versteckt sich die Familie im Keller«, erklärte Patrick. Ronnie rannte zurück in die Küche und glitt auf seinen Socken über den Linoleumboden. »Na ja, der größte Teil der Familie«, fügte Patrick leise hinzu.
»Kommt so was oft vor?«, fragte ich
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