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Artikel 5

Artikel 5

Titel: Artikel 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristen Simmons
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erhabene Narben an seinem Rücken auf, die ich in dem Haus in der Rudy Lane gar nicht bemerkt hatte. Sie ärgerten mich, diese Narben, die sich wie Klauenhiebe diagonal über seine Haut zogen. Ich wollte wissen, wer ihm so wehgetan hatte. Ich wollte ihn beschützen. Falls das überhaupt möglich war. Irgendwie hegte ich den machtvollen Gedanken, ich könnte es vielleicht tatsächlich.
    Und doch, die Narben ließen ihn in Verbindung mit der sich um seinen Arm ringelnden Wunde, die nun gut sichtbar war, da er keinen Verband über der Schulter trug, noch gefährlicher erscheinen.
    Für mich war er entsetzlich schön.
    All die Nerven, die in mir geknistert hatten, schienen sich zu verwandeln und sich Chase zuzuwenden. Mein ganzer Körper zitterte erwartungsvoll. Jegliche verbliebene Energie funkelte in der Luft zwischen uns wie eine elektrische Entladung.
    Ich wollte zu ihm, aber meine Füße waren regelrecht am Boden festgenagelt. Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber ich hatte keine Worte. Ich dachte an die Briefe, die er aufbewahrt hatte, daran, welche Bedeutung sie haben könnten, wenn er mich nur an sich heranließe, und war wieder verwirrt.
    Die ganze Zeit regte er sich so wenig wie ich, doch dann seufzte er leise, und mein Herz krampfte sich zusammen. Irgendetwas stimmte nicht. Das war ein Schmerzenslaut gewesen, kein Ausdruck der Erschöpfung.
    »Tut der Arm sehr weh?«, fragte ich. Er sprang auf. Offenbar hatte er gar nicht gemerkt, dass ich da war, und ich hatte vergessen, dass ich auf Zehenspitzen geschlichen war, um Patrick nicht zu stören.
    Er zog sich das Hemd an, etwas zu hektisch, wie ich dachte. Ich schloss die Tür hinter mir.
    »Es ist nur … dieser Junge. Er ist noch ein Kind, aber er hätte erschossen werden können.« In seinem Ton lag eine so tiefe Scham, sie schien ihn beinahe zu ersticken, und ich sackte mit dem Rücken an die Wand und staunte, wie sehr mich das berührte. »Ich habe gar nicht an ihn gedacht. Er ist, wie alt? Sechs? Sieben? Ich wäre beinahe einfach weggegangen und hätte ihn sterben lassen.«
    Ich fühlte, wie sich meine Brauen einander annäherten. Ein Schauer rann über meinen Rücken, als ich daran dachte, wie Chase auf die Weide hinausgelaufen war.
    »Aber das bist du nicht.«
    »Deinetwegen.« Nun blickte er auf. Seine Augen waren tief dunkel und voller Schmerz. »Dieser Kerl hat eine Pistole auf ein Kind gerichtet, und alles, woran ich denken konnte, warst du. Dass er dich verletzen könnte. Dass ich das nicht zulassen durfte. Diese Kerle, diese blöden Kerle in Hagerstown. Und die Highway Patrol … ich hätte … was ist eigentlich los mit mir?«
    Ich schluckte, aber es fiel mir schwer, denn meine Kehle fühlte sich an wie zugeschnürt. Chase starrte wieder seine Hände an. Im Moment sahen sie nicht aus wie die Hände eines Kämpfers, nur groß, schwielig und leer.
    Wieder meldete sich der alte Schmerz in meinem Inneren. Hätte ich ihm gesagt, er solle die MM vergessen und bei mir bleiben, als sie ihn eingezogen hatten, dann wäre er nun nicht so gebrochen.
    »Du passt auf andere auf, wie du es immer getan hast …«, setzte ich an, doch er schüttelte den Kopf, wollte nicht hören, wie ich versuchte, meine Bedeutung bei all dem herabzuspielen.
    »Du bist das Einzige, was mich hält.«
    »Tut mir leid, wenn ich dir den ganzen Spaß verderbe«, warf ich ihm aufgebracht an den Kopf.
    »Spaß?«, wiederholte er kläglich. »Du denkst … Ember, du bist das einzige Stück von mir, das mir geblieben ist. Alles andere – meine Familie, mein Zuhause, meine Seele – es ist alles weg. Ich weiß einfach nicht mehr, wer zum Teufel ich eigentlich bin. Wenn du nicht wärst … ich weiß auch nicht.«
    Seine Stimme klang belegt, und er starrte zu Boden, bestürzt und beschämt gleichermaßen. Mir stand zwar der Mund offen, doch ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich wünschte, ich könnte ihm versichern, dass er immer noch Chase war, und mir auch, aber was, wenn er recht hatte?
    »Komm her.« Das war meine Stimme. Meine Bitte. Aber sie überraschte uns beide.
    Einige lange Sekunden geschah nichts, doch dann übernahm eine magnetische Kraft das Ruder und zog uns langsam aufeinander zu. Sein Gesicht blickte fragend, verwirrt. Ich konnte ihm ansehen, dass er nicht näher kommen wollte, dass er nicht verstand, warum er schon so nahe war.
    Er riss sich von meinen Augen los, und ich war tief betroffen, als er sein Gesicht zaghaft in meinem Haar barg. Sein Atem

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