Arto Ratamo 7: Der Finne
war im Laufe der Jahrhunderte Zeuge so vieler Intrigen und Machtkämpfe gewesen, hatte so viel Verrat erlebt wie dieser. Jetzt liefen in der blutigen Geschichte des Kreml die Stunden, in denen sich sein Schicksal entschied.
Alles war bereit, er würde auch nach seiner zweiten Amtsperiode weiter der Herrscher Russlands sein. Seine politischen Gegner würde er verblüffen, sie erwarteten, dass er eine dritte Amtszeit als Präsident entweder mit Hilfe einer Verfassungsänderung anstrebte oder durch die Wahl eines seiner Vasallen zum Präsidenten, nach dessen Amtszeit er dann selbst an die Macht zurückkehren könnte. Bukin hatte jedoch einen anderen Plan, auf den er stolz war. Er wollte Russland zu einer parlamentarischen Republik machen, in der die Macht beim Ministerpräsidenten lag. Dank seiner Popularität und der Unterstützung durch die Kirche würde er die Wahlen spielend gewinnen, und als Ministerpräsidentkönnte er dann eine Ewigkeit weiter regieren, wenn er die Wähler so oder so bei Laune hielt. Und es bot sich auch noch eine Alternative – ein Staatenbund mit Weißrussland. Er würde der Präsident des neuen Staates, und der kleine Diktator Lukaschenko bekäme irgendeinen Titel, der sich prächtig anhörte, aber in Wirklichkeit bedeutungslos war.
Präsident Bukin drehte seinen Globus und stoppte ihn dann mit dem Finger, der mitten auf Sibirien zeigte. Wenn der Patriarch neben den Beweisen von Doktor Surowa auch noch das »Opferbuch« in die Finger bekam, wäre seine Zeit als Herrscher im Kreml nach zwei Perioden, nach acht Jahren, zu Ende und er bliebe in den Annalen der Geschichte nur ein schnell verblassender Name, an den sich in ein paar Jahren niemand mehr erinnern würde. Das durfte nicht geschehen, und das würde auch nicht geschehen.
»Ein Anruf von General Korolkow.« Die Stimme der Sekretärin ertönte aus dem Lautsprecher der Wechselsprechanlage, und der Präsident bat, das Gespräch durchzustellen. War die Gefahr schon vorüber?
»Herr Präsident. Ich muss Ihnen bedauerlicherweise mitteilen, dass der Leiter des Ermittlungsdirektorats des FSB, Major Rodion Jarkow, mit seinen Männern umgekommen …«
Präsident Bukin legte den Hörer ganz ruhig auf. Es war nutzlos, über Misserfolge zu diskutieren, Korolkow würde natürlich für seine Unfähigkeit bestraft werden. Es brachte ihn in Rage, dass er in Finnland keine Gewalt einsetzen durfte. Er könnte zwar dafür sorgen, dass die finnischen Politiker mit allem einverstanden wären, die armseligen Kerle krochen vor Russland immer noch auf den Knien wie zu den Zeiten des Kalten Krieges. Doch wenn er das Problem mit einem Kommandounternehmen lösen ließ, könnte die Öffentlichkeit davon erfahren, und das Risikodurfte er zum jetzigen Zeitpunkt, da Finnland den Ratsvorsitz der EU innehatte, nicht eingehen.
Er musste darauf vertrauen, dass eine Person allein die Angelegenheit in Helsinki klären konnte.
54
Helsinki, Sonntag, 13. August
Vikar Ilja Furow schaltete sein Handy aus und betrachtete den Rittersaal, einen reichverzierten rechteckigen Bau, der ihn an die Perle von Venedig erinnerte – den Dogenpalast. Im selben Moment ging die Haupteingangstür des neogotischen Gebäudes auf, und eine Frau in einem ärmellosen Leinenkleid streckte ihm lächelnd die Hand entgegen.
»Sehr angenehm, dass Sie kommen konnten. Sie schreiben also einen Artikel für die Zeitschrift der Universität Oxford?«, sagte die Kanzlistin des Rittersaals voller Eifer und bemerkte dann verblüfft, dass der sympathische Mann, der sich als Botschaftssekretär Komow vorstellte, allein war.
»Mein Mitarbeiter hat unsere Gäste zum Essen gebracht, sie werden sich schon bald zu uns gesellen«, log Furow und hätte beinahe zu dem Range Rover hingeschaut, der auf der Ritarikatu stand.
Man hörte den Widerhall der Schritte auf dem Steinfußboden, als die beschwingt plaudernde Frau den Vikar unter dem von massiven Säulen getragenen Deckengewölbe zur Prachttreppe mit einem roten Teppich führte. »Natürlich verschlingt die Unterhaltung eines solchen Hauses viel Geld, deshalb vermieten wir einen Teil der Räume. Aber im Sitzungssaal können wir ganz ungestört verweilen.«
Vikar Furow konnte noch an der Wand des Foyers in der ersten Etage die weißen Marmortafeln mit den Namen Gefallener und die finnischen Flaggen sehen, dann öffnete die Frau die Tür zu dem großen und hohen Saal, ging hinein und blieb stehen.
Furow schaute sich um, betrat den Saal und schlug mit einem
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