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Artus-Chroniken 1. Der Winterkönig

Artus-Chroniken 1. Der Winterkönig

Titel: Artus-Chroniken 1. Der Winterkönig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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müsse ich jedem Befehl Folge leisten, denn wenn ich nur einmal, nur ein einziges Mal zusammenzuckte oder spräche, würde ich zu meinen Kleidern und Waffen zurückgebracht und sofort wieder davongeschickt werden. Die Initiation ist ein Angriff auf sämtliche Sinne, und um sie zu überstehen, darf man immer nur eins tun: gehorchen. Deswegen ist Mithras bei Soldaten so beliebt. Die Schlacht ist ebenfalls ein Angriff auf die Sinne, und dieser Angriff löst Angst aus, während Gehorsam der dünne Faden ist, der aus dem Chaos der Angst ins Überleben führt. Im Laufe der Zeit habe ich viele Männer in den Mithraskult eingeweiht und lernte alle Tricks in-und auswendig kennen. Als ich bei jenem ersten Mal die Höhle betrat, hatte ich jedoch keine Ahnung, was mir bevorstand. Nach meinem ersten Schritt in die Höhle des Gottes drehte mich Sagramor oder vielleicht auch ein anderer Mann immer wieder in Sonnenlaufrichtung um meine Achse - so schnell und so heftig, daß mir der Kopf schwirrte. Dann mußte ich vorwärts gehen. Rauch nahm mir den Atem, aber ich blieb nicht stehen, sondern folgte der abwärtsführenden Neigung des Felsbodens. Eine Stimme rief mir zu, stehenzubleiben, eine andere befahl mir, mich umzudrehen, eine dritte, niederzuknien. Irgendeine Substanz wurde mir vor den Mund gehalten, und mich ekelte vor dem Gestank nach menschlichen Exkrementen, von dem mir übel wurde. »Iß!«
    fuhr mich eine Stimme an, und fast hätte ich ausgespien, bis mir klar wurde, daß ich nur auf getrocknetem Fisch herumkaute. Ich trank eine widerliche Flüssigkeit, von der mir schwindlig wurde - vermutlich der Saft des Stechapfels, versetzt mit Alraune oder Fliegenpilz, denn obwohl mir die Augen fest verbunden waren, hatte ich Visionen von grell leuchtenden Kreaturen, die mit gerippten Schwingen geflogen kamen, um sich mit scharfen Schnäbeln an meinem Fleisch gütlich zu tun. Flammen berührten meine Haut und versengten die Haare an meinen Beinen und Armen. Abermals wurde mir befohlen, vorwärtszugehen, dann wieder, stehenzubleiben; dann hörte ich, wie Holzscheite auf ein Feuer gelegt wurden, und spürte, wie eine starke Hitze unmittelbar vor mir aufstieg. Das Feuer brüllte, die Flammen rösteten meine nackte Haut und meine Männlichkeit; dann befahl mir eine Stimme, vorwärts-und in das Feuer hineinzutreten, und ich gehorchte. Als mein Fuß in eisigem Wasser versank, schrie ich fast auf vor schrecklicher Angst, ich wäre in ein Bad aus geschmolzenem Metall geraten.
    Eine Schwertspitze wurde auf meine Männlichkeit gesetzt und dort festgehalten, und man befahl mir, einen Schritt vorzutreten, doch als ich das tat, war die Schwertspitze verschwunden. Alles Tricks, natürlich, aber die Kräuter und Pilze in dem Getränk waren stark genug, um diese Tricks in Wunder zu verwandeln, und als ich dem qualvollen Pfad in das heiße, rauchige, hallende Gemach im Herzen der Zeremonie gefolgt war, befand ich mich in einer Trance aus Entsetzen und Verzückung. Ich wurde zu einem Stein von der Höhe eines Tisches geführt, wo man mir ein Messer in die rechte Hand drückte, während meine Linke flach auf einen nackten Bauch gedrückt wurde. »Unter deiner Hand liegt ein Kind, du widerliche Kröte«, sagte die Stimme, und eine Hand führte meine Rechte, bis die Klinge sich über der Kehle des Kindes befand, »ein unschuldiges Kind, das niemandem etwas angetan hat«, sagte die Stimme, »ein Kind, das nichts verdient hat, als zu leben, und du wirst es töten. Stich zu!« Das Kind schrie laut auf, als ich mit dem Messer zustieß, und ich spürte, wie warmes Blut über meine Hand und mein Handgelenk sprudelte. Der vom Herzschlag pulsierende Bauch unter meiner Linken verkrampfte sich ein letztes Mal; dann lag er still. In der Nähe loderte ein Feuer, der Rauch stieg mir erstickend in die Nase.
    Ich mußte niederknien und eine warme, eklige Flüssigkeit trinken, die mir in der Kehle stockte und meinen Magen säuerte. Erst dann, als ich das ganze Horn voll Stierblut geleert hatte, wurde mir die Augenbinde abgenommen, und ich sah, daß ich ein Lamm mit glattrasiertem Bauch getötet hatte. Freunde und Feinde umdrängten mich, um mir zu gratulieren, denn damit war ich in den Dienst des Soldatengottes getreten. Ich war Mitglied eines
    Geheimbundes geworden, der über die ganze römische Welt und sogar über ihre Grenzen hinaus verbreitet war, eines Bundes von Männern, die sich in der Schlacht bewiesen hatten - nicht einfach nur als Soldaten, sondern als wahre

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