Artus-Chroniken 1. Der Winterkönig
seinen gründlichen Durchsuchungen nicht findet. Der Heilige, den Gott zweifellos über alle Lebenden und Toten erheben wird, verbietet uns den Besitz wertvoller Dinge. Unser gesamter Besitz muß ihm zur Aufbewahrung anvertraut werden, so lautet die Regel, und so habe ich ihm zwar alles ausgehändigt, sogar Hywelbane, Ceinwyns Brosche jedoch, Gott möge mir vergeben, zurückbehalten. Der Zahn der Zeit hat das Gold abgeschliffen, aber ich sehe immer noch Ceinwyn vor mir, wenn ich die Brosche im Dunkeln aus ihrem Versteck hole und das Mondlicht ihr kompliziertes Muster aus verschlungenen Linien aufglänzen läßt. Manchmal, nein, jedesmal berühre ich sie mit den Lippen. Was für ein törichter alter Mann ich doch geworden bin! Vielleicht werde ich Igraine die Brosche schenken, denn ich bin sicher, daß sie sie zu schätzen wissen wird, vorerst aber werde ich sie noch behalten, denn das Gold ist für mich wie ein Sonnenstrahl an diesem kalten grauen Ort. Gewiß, wenn Igraine diese Zeilen liest, wird sie wissen, daß die Brosche noch existiert, doch wenn sie wirklich so gutherzig ist, wie ich glaube, wird sie gewiß gestatten, daß ich sie als kleine Erinnerung an ein sündiges Leben behalte.
»Ich mag Guinevere nicht«, erklärte sie.
»Dann habe ich versagt«, gab ich zurück.
»Ihr schildert sie sehr hart«, sagte Igraine.
Ich schwieg eine Weile und lauschte dem Blöken der Schafe.
»Sie konnte wunderbar freundlich sein«, erzählte ich nach einer kurzen Pause. »Sie wußte, wie man die Traurigen fröhlich macht, nur mit dem Alltäglichen hatte sie keine Geduld. Sie träumte von einer Welt, in der es weder Krüppel noch Langweiler, noch Häßliches gab, und wollte diesen Traum wahrmachen, indem sie alle Unbequemlichkeiten verbannte. Arthur hatte ebenfalls einen Wunschtraum, nur daß
der seine den Krüppeln Hilfe bot, und er wollte seine Wunschwelt ebenfalls verwirklichen.«
»Er wünschte sich Camelot«, sagte Igraine verträumt.
»Wir nannten es Caer Cadarn«, berichtigte ich streng.
»Ihr wollt mir immer die Freude verderben, Derfel«, beschwerte sich Igraine verstimmt, obwohl sie mir niemals wirklich böse war. »Ich wünsche mir das Camelot der Dichter: grünes Gras, hohe Türme, Damen in vornehmen Gewändern und Ritter, die ihnen Blumen vor die Füße streuen. Ich wünsche mir Minnesänger und fröhliches Lachen! War es denn nie so?«
»Ein wenig«, antwortete ich, »nur an die blumenbestreuten Wege kann ich mich nicht erinnern. Ich erinnere mich, daß die Krieger hinkend aus der Schlacht heimkehrten, obwohl einige von ihnen auch weinend gekrochen kamen, während sie ihre Gedärme im Staub hinter sich herzogen.«
»Schluß!« befahl Igraine. »Warum nennen die Barden es dann Camelot?« Sie fragte es herausfordernd.
»Weil Poeten schon immer töricht waren«, antwortete ich.
»Denn warum wären sie sonst Poeten?«
»Nein, nein, Derfel! Was war so außergewöhnlich an Camelot? Erzählt es mir!«
»Es war außergewöhnlich«, gab ich zurück, »weil Arthur dem Land Gerechtigkeit brachte.«
Igraine runzelte die Stirn. »Ist das alles?«
»Es ist mehr, Kindchen«, sagte ich, »als sich die meisten Herrscher auch nur erträumen, geschweige denn selber zu schaffen vermögen.«
Achselzuckend tat sie dieses Thema ab. »War Guinevere klug?« wollte sie wissen.
»Sehr.«
Igraine spielte mit dem Kreuz, das sie an einer Kette um den Hals trug. »Erzählt mir von Lancelot.«
»Wartet ab!«
»Und wann kommt Merlin?«
»Bald.«
»Ist der heilige Sansum sehr gemein zu Euch?«
»Dem Heiligen ist das Schicksal unserer unsterblichen Seelen anvertraut. Er tut, was er tun muß.«
»Aber ist er wirklich auf die Knie gefallen und hat laut schreiend um das Märtyrertum gefleht, bevor er Arthur mit Guinevere vermählte?«
»Ja«, antwortete ich und mußte bei der Erinnerung daran unwillkürlich lächeln.
Igraine lachte. »Ich werde Brochvael bitten, den Mäuselord zu einem richtigen Märtyrer zu machen«, versprach sie, »dann könnt Ihr den Befehl über Dinnewrac übernehmen. Würde Euch das gefallen, Bruder Derfel?«
»Es würde mir gefallen, wenn ich ein bißchen Ruhe hätte, um mit meiner Erzählung fortzufahren«, tadelte ich sie.
»Und was kommt jetzt?« erkundigte Igraine sich neugierig. Jetzt kommt Armorica. Das Land jenseits des Meeres. Das wunderschöne Ynys Trebes, und mit ihm König Ban, Lancelot, Galahad und Merlin. Liebster Gott, was für Männer waren das, was für Tage haben wir dort erlebt,
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