Artus-Chroniken 1. Der Winterkönig
etwas zu essen. Und hör auf, mich anzustarren, Derfel«, setzte er hinzu, ohne mich auch nur anzusehen.
Ich hatte ihn mit ebensoviel Verwunderung wie Erleichterung angestarrt, aber ich fragte mich auch, was Merlin in dieser Zitadelle des Feindes zu suchen hatte. Gewiß, Druiden konnten reisen, wohin sie wollten, sogar ins Feindesland hinein, doch daß er gerade jetzt auf Caer Sws war, kam mir seltsam und sogar gefährlich vor, denn obwohl Gorfyddyds Männer durch die Gegenwart des Druiden eingeschüchtert waren, lehnten sie sein Eingreifen ab, und einige, die im hinteren Teil der Halle standen und sich in Sicherheit wähnten, verlangten, er solle sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern.
Sofort wandte sich Merlin ihnen zu. »Meine Angelegenheit«, sagte er mit leiser Stimme, die die spärlichen Proteste dennoch zum Schweigen brachte, »ist es, mich um eure Seelen zu kümmern; und wenn es mir gefällt, diese Seelen in Leid zu ertränken, werdet ihr wünschen, eure Mütter hätten euch niemals geboren, Toren!« Das letzte Wort spie er laut aus und bewegte dazu seinen Stab, was die Anwesenden veranlaßte, sich auf die Knie zu werfen. Keiner der Könige wagte einzugreifen, als Merlin den Stab schwenkte und einem der Schädel, die an einer Säule hingen, einen scharfen Stoß
versetzte. »Ihr betet für den Sieg!« sagte Merlin. »Doch über wen? Über eure Landsleute, nicht über eure Feinde! Denn eure Feinde sind die Sachsen. Jahrelang haben wir unter der Herrschaft der Römer gelitten, doch schließlich hielten es die Götter für angebracht, das römische Gewürm zu entfernen. Und was tun wir? Wir bekämpfen uns gegenseitig und lassen zu, daß ein ganz neuer Feind unser Land erobert, unsere Frauen vergewaltigt und unser Getreide erntet. Also führt euren Krieg, ihr Toren, führt ihn und triumphiert, aber den Sieg werdet ihr dennoch nicht erringen.«
»Aber meine Tochter wird gerächt werden«, sagte Gorfyddyd hinter Merlin.
»Eure Tochter, Gorfyddyd«, sagte Merlin und wandte sich um,
»wird sich für ihren Schmerz selbst rächen. Wollt Ihr, daß ich Euch ihr Schicksal vorhersage?« Er stellte die Frage in spöttischem Ton, beantwortete sie jedoch sachlich und in einem Ton, in dem seherisches Wissen mitschwang. »Sie wird niemals hoch aufsteigen und wird niemals tief absinken, aber sie wird glücklich sein. Ihre Seele, Gorfyddyd, ist gesegnet, und wenn Ihr auch nur den Verstand eines Flohs hättet, würdet Ihr Euch damit zufriedengeben.«
»Ich werde mich mit Arthurs Schädel zufriedengeben«, entgegnete Gorfyddyd trotzig.
»Dann geht und holt ihn Euch«, gab Merlin verächtlich zurück. Darauf ergriff er meinen Ellbogen. »Komm mit, Derfel, wir wollen die Gastfreundschaft des Feindes genießen.«
Unbekümmert führte er uns durch die Reihen der eisen-und lederbewehrten Feinde zur Halle hinaus. Die Krieger musterten uns grollend, konnten aber weder verhindern, daß
wir den Raum verließen, noch, daß wir uns eine von Gorfyddyds Gästekammern nahmen, die Merlin offensichtlich schon benutzt hatte. »So«, begann er, »Tewdric will also Frieden?«
»Ja, Lord«, antwortete ich.
»Sieht Tewdric ähnlich. Weil er Christ ist, glaubt er, alles besser zu wissen als die Götter.«
»Und Ihr kennt den Willen der Götter, Lord?« erkundigte sich Galahad.
»Ich glaube, daß es den Göttern zuwider ist, wenn sie sich langweilen müssen, also gebe ich mir die größte Mühe, sie zu zerstreuen. Auf diese Weise lächeln sie auf mich herab. Euer Gott«, fuhr Merlin säuerlich fort, »verabscheut die Zerstreuung und verlangt statt dessen kriecherische Anbetung. Er muß
eine sehr traurige Kreatur sein. Vermutlich ist er wie Gorfyddyd, ewig mißtrauisch und eifersüchtig auf seinen Ruf bedacht. Was für ein Glück für euch, daß ich zur Stelle war!«
Plötzlich grinste er uns spitzbübisch an, und erst jetzt merkte ich, wie sehr er die öffentliche Demütigung genoß, die er Gorfyddyd zugefügt hatte. Merlins Ruf beruhte zum Teil auf seinen Auftritten; manche Druiden, wie etwa Iorweth, arbeiteten im stillen, andere, wie Tanaburs, verließen sich auf ihre finstere Verschlagenheit, Merlin aber dominierte und blendete gern, und einen ehrgeizigen König zu demütigen war für ihn nicht nur eine instinktive, sondern auch eine vergnügliche Handlungsweise.
»Ist Ceinwyn wirklich gesegnet?« fragte ich ihn. Bei dieser unerwarteten Frage sah er mich verwundert an.
»Was kümmert es dich? Aber sie ist ein hübsches
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