Artus-Chroniken 1. Der Winterkönig
Reihenfolge, Lady?«
»Weil ich nicht will, natürlich.«
»Nun, aber ich will es«, entgegnete ich, »und ich erzähle die Geschichte, nicht Ihr.«
»Wenn ich Euch nicht so gut leiden könnte, Bruder Derfel, würde ich Euch den Kopf abschneiden und Euren Leichnam den Hunden vorwerfen lassen.« Nachdenklich runzelte sie die Stirn. Sie sieht heute wirklich sehr hübsch aus, in ihrem mit Otterfell besetzten Umhang aus grauer Wolle. Sie ist nicht schwanger, also hat entweder der kleine Beutel mit Säuglingskot nicht gewirkt, oder Brochvael verbringt zuviel Zeit mit Nwylle. »In der Familie meines Gemahls wurde immer sehr viel über Großtante Ceinwyn geredet«, sagte sie, »aber niemand hat mir je richtig erklärt, um was es bei dem Skandal eigentlich ging.«
»Ich habe nie einen Menschen kennengelernt, Lady«, gab ich in strengem Ton zurück, »der weniger mit Skandalen zu tun gehabt hätte.«
»Ceinwyn hat sich nie vermählt«, wandte Igraine ein. »Soviel ist mir bekannt.«
»Ist das so skandalös?« fragte ich sie.
»Es wäre skandalös, wenn sie sich wie eine verheiratete Frau verhalten hätte«, erklärte Igraine indigniert. »Das predigt jedenfalls Eure Kirche. Unsere Kirche«, verbesserte sie sich hastig. »Also, was ist passiert? Erzählt!«
Ich zog den Ärmel meiner Kutte über den Armstumpf, denn dieser litt immer zuerst unter dem kalten Wind. »Ceinwyns Geschichte ist zu lang, um sie jetzt zu erzählen«, antwortete ich und weigerte mich trotz der hartnäckigen Forderungen meiner Königin, ein einziges Wort hinzuzusetzen.
»Hat Merlin denn nun den Kessel gefunden?« erkundigte Igraine sich statt dessen.
»Dazu kommen wir, wenn es soweit ist«, erwiderte ich. Sie hob die Hände. »Ihr macht mich rasend, Derfel! Wenn ich mich wie eine richtige Königin verhielte, würde ich jetzt wirklich Euren Kopf verlangen.«
»Und wenn ich etwas anderes wäre als ein uralter, schwächlicher Mönch, Lady, würde ich ihn Euch von Herzen gern geben.«
Sie lachte und wandte sich um, um aus dem Fenster zu sehen. Die Blätter der kleinen Eichen, die Bruder Maelgwyn gepflanzt hatte, um den Wind abzuhalten, sind vorzeitig braun geworden, und die Wälder in der Talmulde unter uns strotzen von Beeren: beides Anzeichen für einen harten Winter. Sagramor erzählte mir einmal, daß es Orte gäbe, wo es nie Winter wird und die wärmende Sonne das ganze Jahr über scheint, aber vielleicht war das genauso eine Ausgeburt seiner Phantasie wie die Kaninchen. Früher hatte ich gehofft, der Himmel der Christen wäre ein warmer Ort, der heilige Sansum aber behauptet, es müsse kalt im Himmel sein, weil die Hölle heiß ist, und ich vermute, daß der Heilige recht hat. Es gibt so wenig, worauf man sich freuen kann. Igraine erschauerte und wandte sich zu mir zurück. »Niemand hat mir je eine Lugnasalaube gebaut«, sagte sie schließlich wehmütig.
»Aber natürlich habt Ihr Lauben bekommen!« widersprach ich.
»Jedes Jahr eine.«
»Aber das ist die Laube für den ganzen Caer. Die werden von den Sklaven gebaut, weil die das tun müssen, und natürlich setze ich mich da hinein, aber das ist nicht dasselbe wie eine Laube, die ein junger Mann seinem Mädchen aus Fingerhut und Weidenzweigen macht. War Merlin böse, weil Ihr und Nimue euch geliebt habt?«
»Ich hätte Euch das nicht erzählen dürfen«, sagte ich. »Falls er es wußte, so hat er nie ein Wort darüber verloren. Es hätte für ihn auch keine Rolle gespielt. Er war nicht eifersüchtig.«
Nicht wie wir anderen. Nicht wie Arthur, nicht wie ich. Wieviel Blutvergießen hat es durch Eifersucht auf unserer Erde gegeben! Und was spielt das am Ende unsres Lebens noch für eine Rolle? Wir werden alt, und die Jungen starren uns an, vermögen aber nicht zu sehen, daß wir aus Liebe einstmals ein Königreich zum Klingen gebracht haben.
Igraine setzte wieder ihre mutwillige Miene auf. »Goriyddyd hat Guinevere als Hure bezeichnet, sagt Ihr. War sie eine?«
»Ihr solltet dieses Wort nicht in den Mund nehmen.«
»Na schön, war Guinevere das, was Gorfyddyd von ihr behauptete, das, was ich nicht aussprechen darf, um Eure unschuldigen Ohren nicht zu beleidigen?«
»Nein«, sagte ich, »das war sie nicht.«
»Aber war sie Arthur treu?«
»Wartet ab«, sagte ich.
Sie streckte mir die Zunge raus. »Ist Lancelot ein Mithrasjünger geworden?«
»Wartet ab«, sagte ich.
»Ich hasse Euch!«
»Und ich bin Euer untertänigster Diener, meine liebe Lady«, gab ich zurück, »aber ich bin
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