Artus-Chroniken 1. Der Winterkönig
Reise. Wir brauchten drei Tage, und das war ziemlich lange, denn Morgan konnte nur langsam gehen, aber die Sonne schien auf uns herab, und die römische Straße erleichterte uns den Marsch. Wenn der Abend dämmerte, suchten wir den Hof des nächsten Häuptlings auf und schliefen als Ehrengäste in seiner mit Stroh gefüllten Scheune. Anderen Reisenden begegneten wir kaum, und die wenigen, die wir trafen, machten uns bereitwillig Platz, denn das helle Leuchten von Morgans Gold galt als Symbol ihrer hohen Stellung. Man hatte uns vor herren-und landlosen Männern gewarnt, die reisende Kaufleute auf den großen Straßen ausraubten, aber wir wurden von niemandem bedroht - vielleicht, weil Uthers Soldaten Vorkehrungen für den Hohen Rat getroffen und Wälder und Hügel gründlich nach Briganten durchsucht hatten. Wir kamen an mehr als einem Dutzend verwesender Leichname vorbei, die zur Warnung am Rand der Straße gepfählt worden waren. Die Leibeigenen und Sklaven, denen wir begegneten, knieten vor Morgan nieder, Kaufleute machten ihr höflich Platz, und nur ein Reisender wagte es, unsere Autorität in Frage zu stellen: ein wildbärtiger Priester mit einem zerlumpten Anhang struppiger Weiber. Diese Christengruppe tanzte die Straße entlang und lobte singend ihren gekreuzigten Gott, doch als der Priester die goldene Maske sah, die Morgans Gesicht bedeckte, sowie das dreifache Geweih und den geflügelten Drachen ihrer Spangen, beschimpfte er sie als eine Kreatur des Teufels. Der Priester muß sich wohl gedacht haben, daß er eine so stark entstellte, hinkende Frau mit seinem Hohn leicht aus dem Gleichgewicht bringen könnte, aber ein Wanderprediger in Begleitung seiner Ehefrau und einiger heiliger Huren konnte es mit Igraines Tochter, Merlins Schützling und Arthurs Schwester nicht aufnehmen. Morgan versetzte dem Burschen mit ihrem schweren Stab einen einzigen Schlag aufs Ohr, der ihn seitwärts in einen mit Nesseln gefüllten Graben schleuderte; dann schritt sie ohne einen Blick zurück davon. Die Weiber des Priesters stoben kreischend auseinander. Einige beteten, andere stießen Flüche aus, doch Nimue glitt unberührt von ihren Bosheiten wie ein Geist zwischen ihnen hindurch. Ich selbst trug keine Waffen, es sei denn, man will einen Stab und ein Messer als die Ausrüstung eines Kriegers bezeichnen. Ich hätte nur allzugern Schwert und Speer getragen, denn ich wollte wie ein erwachsener Mann auftreten, aber Hywel hatte gespottet, ein Mann werde man nicht, weil man sich das wünscht, sondern durch Taten. Zu meinem Schutz schenkte er mir einen Bronzetorques, auf dem an beiden Enden Merlins gehörnter Gott dargestellt war. Niemand, erklärte er mir, würde es wagen, Merlin herauszufordern. Dennoch fühlte ich mich ohne echte Männerwaffen wehrlos. Warum, fragte ich Nimue, ging ich überhaupt mit?
»Weil du mein Eidgenosse bist, mein Kleiner«, antwortete Nimue. Ich war zwar inzwischen schon größer als sie, aber aus liebevoller Zuneigung fuhr sie auch weiterhin fort, mich so zu nennen. »Und weil du und ich von Bel auserwählt wurden. Und wenn er uns auserwählt, müssen wir einander auch auserwählen.«
»Aber warum gehen wir beide nach Glevum?« wollte ich wissen.
»Weil Merlin es will, natürlich.«
»Wird er ebenfalls dort sein?« erkundigte ich mich eifrig. Merlin war schon so lange fort, und Ynys Wydryn war ohne ihn wie ein Himmel ohne Sonne.
»Nein«, antwortete sie gelassen, aber woher sie wußte, was Merlin in dieser Hinsicht wollte, war mir ein Rätsel, denn Merlin war noch immer weit fort, und der Aufruf zum Hohen Rat war erst lange nach seiner Abreise erfolgt.
»Und was machen wir, wenn wir in Glevum sind?«
»Das werden wir wissen, sobald wir dort ankommen«, gab sie geheimnisvoll zurück und war zu keiner weiteren Erklärung zu bewegen.
Glevum wirkte, als ich mich erst einmal an den alles überdeckenden Gestank nach Abtrittkot gewöhnt hatte, auf wunderbare Weise fremdartig. Abgesehen von einigen jener Villen auf Merlins Ländereien, die als Bauernhöfe genutzt wurden, war dies das erstemal, daß ich eine echte römische Ortschaft zu sehen bekam, und so staunte ich über die Sehenswürdigkeiten wie ein frisch geschlüpftes Küken. Die Straßen waren mit eingepaßten Steinen gepflastert, und obwohl sie in den vielen Jahren seit dem Abzug der Römer uneben geworden waren, hatten König Tewdrics Mannen ihr Bestes getan, den Schaden zu beheben, indem sie Unkraut jäteten und die Erde wegfegten, so daß die
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