Artus-Chroniken 1. Der Winterkönig
oder die nahe Ortschaft Lindinis aufsuchen, doch Gwlyddyn war nur Zimmermann, während Morgan eine hochgeborene Lady war, also unterwarf er sich ihren Wünschen.
Als wir auf das Weideland hinauskamen, warfen wir lange Schatten voraus. Das Gras war von Hirschen oder Kühen abgeweidet worden, war aber dennoch unter den Füßen weich und üppig. Nimue, die noch immer in einer schmerzgequälten Trance zu verharren schien, schlüpfte aus ihren geborgten Schuhen und ging barfuß weiter. Über uns segelte ein Falke in der Luft; dann sprang, von unserem plötzlichen Auftauchen aufgeschreckt, ein Hase aus einer grünen Grube hervor und jagte mit flinken Sprüngen davon.
Wir folgten einem Pfad, der von Kornblumen, Margariten und Hartriegel gesäumt war. Der Wald hinter uns wirkte, von den schrägen Strahlen der im Westen untergehenden Sonne verschattet, finster und schwarz. Wir waren müde und zerlumpt, aber das Ende des Marsches war in Sicht, und einige von uns wirkten tatsächlich fröhlich. Wir brachten Mordred an seinen Geburtsort, brachten ihn zu Dumnonias Königshügel zurück, doch bevor wir auch nur den halben Weg zu jener wunderbaren grünen Zuflucht zurückgelegt hatten, tauchten hinter uns die Feinde auf.
Gundleus' Kriegshorde war gekommen. Nicht nur die Reiter, die am Morgen nach Ynys Wydryn geritten waren, sondern auch seine Speerkämpfer. Gundleus mußte die ganze Zeit gewußt haben, wohin wir wollten, und war daher mit all seinen überlebenden Reitern sowie über einhundert Speerkämpfern zu diesem heiligen Ort der Könige von Dumnonia gezogen. Und selbst wenn er sich nicht gezwungen gesehen hätte, den jungen König zu verfolgen, wäre Gundleus dennoch nach Caer Cadarn gekommen, denn er wollte nichts Geringeres als die Krone von Dumnonia, und Caer Cadarn war der Ort, wo dem Herrscher diese Krone aufs Haupt gesetzt wurde. Wer Caer Cadarn besitzt, der besitzt Dumnonia, besagte ein altes Sprichwort, und wer Dumnonia besitzt, besitzt Britannien. Die silurischen Reiter sprengten vor die Speerkämpfer. Nur wenige Minuten noch, dann hatten sie uns erreicht, und mir war klar, daß keiner von uns, nicht mal die schnellsten Läufer, die langgestreckten Hänge der Festung erreichen konnte, bevor diese Reiter uns mit scharfem Stahl und langen Speeren umzingelt hatten. Als ich mich zu Nimue gesellte, sah ich, daß ihr schmales Gesicht eingefallen und müde und ihr verbliebenes Auge geschwollen und mit Tränen gefüllt war.
»Nimue?« sagte ich leise.
»Schon gut, Derfel.« Sie schien verärgert darüber, daß ich mich ihrer annehmen wollte.
Sie ist wahnsinnig, sagte ich mir. Von allen, die diesen schrecklichen Tag überlebt hatten, hatte sie das gräßlichste Erlebnis durchgemacht, und das hatte sie an einen Ort getrieben, an den ich ihr nicht folgen und den ich nicht begreifen konnte. »Ich liebe dich wirklich«, sagte ich, weil ich ihre Seele mit Zärtlichkeit berühren wollte.
»Mich? Nicht Lunete?« gab Nimue gereizt zurück. Dabei sah sie nicht mich an, sondern blickte nach vorn, zur Burg, während ich mich zu den immer näher kommenden Reitern umwandte, die sich wie bei einer Treibjagd zu einer langen Linie formiert hatten. Ihre Mäntel waren über die Hinterteile ihrer Pferde gebreitet, ihre Schwertscheiden hingen neben den Stiefeln, und die Sonne glitzerte auf den Speerspitzen und beleuchtete das Fuchskopfbanner. Unmittelbar unter diesem Banner ritt Gundleus mit dem von einem Fuchsschwanz gekrönten Helm auf dem Kopf. An seiner Seite ritt Ladwys mit dem Schwert in der Hand, während Tanaburs mit flatterndem Gewand auf einem Grauschimmel neben dem König ritt. Ich werde sterben, dachte ich, sterben am selben Tag, an dem ich zum Mann geworden bin. Diese Erkenntnis erschien mir sehr grausam.
»Lauft!« rief Morgan unvermittelt. »Lauft!« Ich dachte, Panik hätte sie ergriffen, und wollte ihr nicht gehorchen, weil ich es für edler hielt, standzuhalten und wie ein Mann zu sterben, statt von hinten als flüchtender Feigling niedergemacht zu werden. Dann sah ich, daß sie keineswegs in Panik geraten und daß Caer Cadarn doch nicht verlassen war, denn die Tore hatten sich geöffnet und ein unablässiger Strom von Männern kam den Pfad heruntergelaufen und -geritten. Die Reiter waren gekleidet wie Gundleus' Reiter, nur trugen diese Männer Mordreds Drachenemblem auf ihren Waffen.
Wir liefen. Ich zog Nimue am Arm hinter mir her, während eine Handvoll dumnonischer Reiter auf uns zugejagt kam. Es waren etwa zwölf,
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