Artus-Chroniken 2. Der Schattenfürst
zurück. Wir kneteten unsere steifen Lederhandschuhe und schoben den linken Arm unter die Schildriemen. Wir zogen das Schwert und streckten es Nimue entgegen, damit sie es berühre. Einen Moment schien es, als wollte Arthur noch etwas sagen, statt dessen aber schob er sich den kleinen Kornblumenstrauß in die Halsöffnung seiner Schuppenrüstung. Dann nickte er Nimue zu, die uns, in ihrem schwarzen Umhang und mit dem seltsamen Bündel in der Hand, südwärts durch den Wald führte.
Vor dem Wald lag eine kleine Wiese, die sich zur Bucht hinabsenkte. Immer noch außer Sichtweite des Palastes überquerten wir sie im Gänsemarsch. Dabei scheuchten wir ein paar Hasen auf, die im Mondschein gefressen hatten und nun in panischer Angst davonhoppelten. Wir drangen durch ein paar niedrige Büsche vor und kletterten die steile Böschung zur Bucht hinab. Von dort aus schlichen wir, durch die Böschung vor den Blicken der Wachen unter den Palastarkaden verborgen, nach Westen. Im Süden klatschten und rauschten die Meereswellen, was jeden Lärm, den unsere Stiefel auf den Kieseln machten, übertönte.
Ein einziges Mal spähte ich über die Uferböschung und sah den Seepalast im Mondlicht wie ein weißes Wunder über dem dunklen Land schweben. Seine Schönheit erinnerte mich an Ynys Trebes, die zaubergleiche Stadt im Meer, die von den Franken verheert und vernichtet worden war. Dieser Palast hier besaß die gleiche ätherische Schönheit, denn er schimmerte über dem dunklen Land, als wäre er aus reinen Mondstrahlen erbaut.
Sobald wir uns im Westen des Palastes befanden, erklommen wir die steile Böschung, indem wir einander mit den Speerschäften heraufhalfen, und folgten dann Nimue nordwärts durch den Wald. Durch das Sommerlaub drang genügend Mondlicht zu uns herab, um unseren Weg ausreichend zu beleuchten, und keine Wachen verstellten uns den Weg. Das endlose Rauschen des Meeres erfüllte die Nacht, und nur einmal ertönte ganz in der Nähe ein Schrei. Wir erstarrten, doch dann erkannten wir, daß es ein Hase war, der von einem Wiesel geschlagen wurde. Erleichtert atmeten wir auf und schlichen weiter.
Es schien, als legten wir einen weiten Weg durch den Wald zurück, doch schließlich wandte sich Nimue nach Osten, und wir folgten ihr bis an den Waldrand, wo wir die weißgetünchten Mauern des Palastes vor uns sahen. Da wir nicht weit von dem runden, hölzernen Mondschacht entfernt waren, der in den Tempel hinabführte, konnte ich erkennen, daß es noch einige Zeit dauern würde, bis der Mond hoch genug am Himmel stand, um direkt in den Schacht und in den Keller mit den pechschwarzen Wänden zu scheinen. Während wir am Waldrand warteten, setzte der leise Gesang ein. So leise, daß ich anfangs dachte, es sei der Wind, der da klagte; dann aber wurde der Gesang lauter, und ich erkannte, daß es ein Frauenchor war, der eine seltsame, überirdische und rhythmische Melodie sang, die anders war als alles, was ich jemals vernommen hatte. Der Gesang mußte aus dem Mondschacht kommen, denn er klang sehr weit entfernt, ein Geistergesang, wie ein Totenchor, der in der Anderwelt für uns sang. Den Text konnten wir nicht verstehen, aber wir wußten, daß es ein trauriger Gesang war – denn die Melodie stieg auf unheimliche Art in Halbtönen auf und ab, schwoll an und sank wieder zu einer nachhallenden Süße, die mit dem fernen Gemurmel der sich brechenden Wellen verschmolz. Es war eine wunderschöne Musik, aber sie ließ mich so heftig erschauern, daß ich meine Speerspitze berührte. Hätten wir den Schutz der Bäume verlassen, wären wir in Sichtweite der Wachen geraten, die in der westlichen Arkade standen, also schlichen wir im Wald ein paar Schritt weiter bis an eine Stelle, von der aus wir uns durch ineinandergreifende Mondschatten bis an den Palast heranschleichen konnten. Vor uns lagen ein Obstgarten, ein paar Reihen Beerensträucher und sogar ein hoher Zaun, der einen Gemüsegarten vor Rehen und Hasen schützte. Wir bewegten uns langsam, einer nach dem anderen, und ständig stieg und fiel, floß und klagte dieser seltsame Gesang. Ein Rauchschimmer stand zitternd über dem Mondschacht; sein Geruch wurde uns vom leichten Nachtwind zugetragen. Es war ein Tempelgeruch, stechend und fast ekelerregend.
Wir waren nur wenige Meter von den Hütten der
Speerkämpfer entfernt. Ein Hund begann zu bellen, dann ein zweiter, doch niemand in den Hütten hielt das Gebell für eine Warnung, denn ein paar Stimmen verlangten nur laut rufend
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