Artus-Chroniken 3. Arthurs letzter Schwur
sprach, schob sie die Kapuze zurück. Ich sah, daß sie ihr Gesicht weiß angemalt und sich dann Ruß um die Augen geschmiert hatte, damit sie aussah wie ein lebender Totenschädel. Morwenna hielt hörbar den Atem an.
»Wer seid Ihr?« fragte ich abermals.
»Ich bin der Hauch des Westwindes, Lord Derfel«, antwortete sie mit singender Stimme. »Und der Regen, der auf Cadair Idris fällt, und der Frost, der Eryris Gipfel säumt. Ich bin die Botin aus der Zeit vor allen Königen, ich bin die Tänzerin.« Sie lachte, aber ihr Lachen klang in der Nacht wie Wahnsinn. Dieses Lachen lockte Taliesin und Galahad an die Tür des Krankenzimmers, wo sie standen und die weißgesichtige, lachende Frau anstarrten. Galahad bekreuzigte sich, während Taliesin den Eisenriegel der Tür berührte. »Kommt her, Lord Derfel!« befahl mir die Frau. »Kommt mit mir, Lord Derfel!«
»Geht, Lord«, ermunterte mich Taliesin, und plötzlich keimte in mir die Hoffnung, die Zaubersprüche des läuseverseuchten Druiden hätten vielleicht doch noch gewirkt, denn sie hatten Ceinwyn zwar nicht von ihrer Krankheit befreit, aber sie hatten diese Erscheinung zu uns auf den Hof gebracht. Also trat ich ins Mondlicht hinaus und näherte mich der Frau im Umhang.
»Umarmt mich, Lord Derfel«, verlangte die Frau, und irgend etwas in ihrer Stimme erinnerte an Fäulnis und Schmutz; doch ich erschauerte, trat einen weiteren Schritt vor und legte meine Arme um ihre mageren Schultern. Sie roch nach Honig und Asche. »Ihr wollt, daß Ceinwyn am Leben bleibt?« flüsterte sie mir ins Ohr.
»Ja.«
»Dann kommt jetzt mit mir«, flüsterte sie und löste sich aus meiner Umarmung. »Jetzt!« wiederholte sie, als sie sah, daß ich zögerte.
»Wartet, bis ich mir einen Mantel und ein Schwert geholt habe«, verlangte ich.
»Dort, wohin wir gehen, Lord Derfel, werdet Ihr kein Schwert brauchen, und es genügt, wenn Ihr meinen Umhang mit mir teilt. Kommt jetzt, oder laßt Eure Lady weiterleiden.« Mit diesen Worten wandte sie sich ab und ging gemessenen Schrittes zum Hof hinaus.
»Geht!« drängte mich Taliesin. »Geht!«
Galahad machte Anstalten, mich zu begleiten, aber am Tor wandte sich die Frau plötzlich um und befahl ihm, zurückzukehren. »Lord Derfel wird allein mitkommen«, erklärte sie, »oder er kommt überhaupt nicht mit.«
So ging ich also davon und folgte dem Tod in die Nacht hinaus, in Richtung Norden.
Wir wanderten die ganze Nacht hindurch, so daß wir bei Morgengrauen am Fuß der hohen Hügel ankamen, und immer noch drängte sie weiter, wählte Pfade, die fern von jeder menschlichen Siedlung verliefen. Die Frau, die sich »die Tänzerin« nannte, ging barfuß und begann manchmal zu hüpfen, als sei sie von überschäumender Freude erfüllt. Eine Stunde nach Tagesanbruch, als die Sonne die Hügel mit frischem Gold überflutete, machte sie an einem kleinen See halt, spritzte sich Wasser ins Gesicht und scheuerte sich die Wangen mit Händen voll Gras, um die Mischung aus Honig und Asche zu entfernen, mit der sie ihre Haut kalkweiß gefärbt hatte. Bis zu diesem Moment hatte ich nicht gewußt, ob sie jung oder alt war, nun aber entdeckte ich, daß es sich um eine Frau in den Zwanzigern handelte, und zwar um eine sehr schöne. Sie hatte ein zartes, von Leben erfülltes Gesicht mit glücklichen Augen und einem fröhlichen Lächeln. Sie wußte um ihre Schönheit und lachte, als sie merkte, daß ich es ebenfalls erkannte. »Würdet Ihr mir beiliegen, Lord Derfel?« fragte sie mich.
»Nein«, antwortete ich.
»Wenn Ihr Eure Ceinwyn damit gesund machen könntet«, fragte sie weiter, »würdet Ihr mir dann beiliegen?«
»Ja.«
»Aber das könnt Ihr nicht!« erklärte sie. »Das könnt Ihr nicht!« Dann lachte sie, lief davon und warf dabei den schweren Umhang ab, unter dem ein dünnes Leinengewand zum Vorschein kam, das sich eng an den geschmeidigen Körper schmiegte. »Erinnert Ihr Euch an mich?«
erkundigte sie sich und wandte sich mir zu.
»Sollte ich das?«
»Ich erinnere mich an Euch, Lord Derfel. Ihr habt meinen Körper angestarrt wie ein Mann, der hungrig ist; und Ihr wart hungrig, sehr hungrig wart Ihr. Erinnert Ihr Euch?« Damit schloß sie die Augen und kam den Schafpfad herab auf mich zu – mit hohen Schritten, die Zehen zierlich nach außen gewendet. Da erinnerte ich mich an sie. Sie war das Mädchen, dessen nackte Haut in Merlins Dunkelheit geleuchtet hatte.
»Ihr seid Olwen«, sagte ich, ein Name, der mir über die Jahre hinweg
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