Artus-Chroniken 3. Arthurs letzter Schwur
hinabgleiten. »Es kann kalt werden in den Wolken, Lord«, erklärte sie mir. Dann tanzte sie schon wieder weiter, während ich dem Schäfer und seinem Hund einen letzten, sehnsüchtigen Blick zuwarf, um dann der tanzenden Olwen auf einem schmalen Pfad bergaufwärts zu folgen, der zwischen hohen Felsen einherführte.
Es wurde Nachmittag. Wir unterbrachen die Wanderung in einem Tal mit steilen Seitenwänden, wo Eschen, Vogelbeerbäume und Bergahorn wuchsen und ein langer, schmaler See schwarz unter dem leichten Wind zitterte. Ich lehnte mich gegen einen Felsblock und muß wohl eine Weile geschlafen haben, denn als ich erwachte, entdeckte ich, daß
Olwen wieder nackt war, doch dieses Mal schwamm sie im kalten schwarzen Wasser des Sees. Fröstelnd stieg sie heraus, rieb sich mit ihrem Umhang trocken und zog ihr Gewand an. »Nimue hat mir gesagt, wenn Ihr mir beiliegt, wird Ceinwyn sterben«, sagte sie.
»Warum habt Ihr mich dann gebeten, Euch beizuliegen?« fragte ich barsch.
»Um zu sehen, ob Ihr Eure Ceinwyn liebt, natürlich.«
»Das tue ich«, bestätigte ich.
»Dann könnt Ihr sie retten«, sagte Olwen fröhlich.
»Wie hat Nimue sie verflucht?« wollte ich wissen.
»Mit einem Feuerfluch, einem Wasserfluch und dem Fluch des Schwarzdorns«, antwortete Olwen; kauerte sich zu meinen Füßen nieder und blickte mir in die Augen. »Und mit dem dunklen Fluch des Anderkörpers«, ergänzte sie unheilverkündend.
»Warum?« fragte ich sie zornig, aber mein Zorn galt nicht den Einzelheiten der Flüche, sondern der Tatsache, daß meine Ceinwyn überhaupt mit einem Fluch belegt worden war.
»Warum nicht?« entgegnete Olwen. Dann lachte sie, warf sich den nassen Umhang um die Schultern und ging davon. »Kommt mit, Lord!
Habt Ihr Hunger?«
»Ja.«
»Ihr werdet essen. Essen, schlafen und reden.« Wieder tanzte sie zierliche Barfußschritte auf dem steinigen Pfad. Ich sah, daß ihre Füße bluteten, aber das schien sie nicht zu kümmern. »Wir gehen rückwärts«, erklärte sie mir.
»Was soll das heißen?«
Sie drehte sich um, so daß sie mir zugewandt war und rückwärts hüpfte. »Rückwärts in der Zeit, Lord. Wir spulen die Jahre zurück. Die vergangenen Jahre fliegen an uns vorbei, aber so schnell, daß Ihr weder die Nächte noch die Tage erkennen könnt. Ihr seid noch nicht geboren, Eure Eltern sind noch nicht geboren, und immer weiter geht es zurück, zurück, bis in die Zeit, bevor es Könige gab. Dahin gehen wir, Lord. In die Zeit vor den Königen.«
»Eure Füße bluten«, warnte ich sie.
»Die heilen wieder.« Damit machte sie kehrt und hüpfte weiter.
»Kommt mit!« rief sie mir zu. »Kommt mit in die Zeit vor den Königen.«
»Wartet dort Merlin auf mich?« fragte ich sie.
Dieser Name ließ Olwen innehalten. Sie stand still, abermals rückwärts gewandt, und sah mich stirnrunzelnd an. »Ich habe Merlin einmal beigelegen«, sagte sie nach einer Weile. »Oft«, ergänzte sie dann in einem Anfall von Aufrichtigkeit.
Das überraschte mich keineswegs. Er war ein Bock. »Erwartet er uns?« erkundigte ich mich.
»Er ist im Herzen der Zeit vor den Königen«, erklärte Olwen ernst.
»Im innersten Herzen, Lord. Merlin ist die Kälte im Frost, das Wasser im Regen, die Flamme in der Sonne, der Atem im Wind. Und nun kommt.« Unvermittelt zerrte sie mich heftig am Ärmel. »Wir können jetzt nicht reden.«
»Wird Merlin gefangengehalten?« fragte ich sie, aber Olwen wollte mir nicht antworten. Sie lief vor mir her, dann wartete sie ungeduldig darauf, daß ich sie einholte, nur um sogleich wieder vorauszulaufen. Sie bewältigte die steilen Pfade mühelos, während ich atemlos hinter ihr herkeuchte, und dabei kamen wir immer tiefer in die Berge hinein. Inzwischen hatten wir Siluria nach meiner Einschätzung verlassen und befanden uns in Powys, aber in einem Teil dieses unglückseligen Landes, in den die Regierungsgewalt des jungen Perddel nicht hineinreichte. Dies war das Land ohne Gesetze, die Zuflucht der Briganten, doch Olwen hüpfte unbekümmert durch seine Gefahren. Die Nacht brach herein. Wolken zogen von Westen auf, so daß wir bald von tiefer Dunkelheit umgeben waren. Ich blickte mich um, vermochte aber nichts zu sehen. Keine Lichter, nicht mal den Schimmer einer fernen Flamme. So, dachte ich mir, hat Bel vermutlich die Insel Britannien vorgefunden, als er herkam, um Licht und Leben zu bringen. Olwen legte ihre Hand in die meine. »Kommt mit, Lord.«
»Ich kann nichts sehen!« protestierte
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