Artus-Chroniken 3. Arthurs letzter Schwur
dem Weizenmädchen, das er an den Wassern von Claerwen geliebt hatte, oder von den Hunden von Trygwylth, die ihn, wie man ihm einredete, ständig jagten. »Deswegen habe ich dieses Gitter, Derfel«, sagte er und schlug gegen die Holzstäbe. »Damit die Hunde mich nicht erreichen können, und keine Augen habe ich, damit sie mich nicht sehen können. Denn wenn man keine Augen hat, weißt du, können die Hunde einen nicht sehen. Daran solltest du immer denken.«
»Nimue«, fragte ich irgendwann einmal. »Wird sie die Götter zurückholen?«
»Deswegen hat sie meinen Verstand übernommen, Derfel«, erklärte Merlin.
»Wird es ihr gelingen?«
»Gute Frage! Ganz ausgezeichnete Frage. Eine Frage, die ich mir selber ständig stelle.« Er setzte sich und umarmte seine knochigen Knie.
»Mir hat es an Mut gefehlt, nicht wahr? Ich habe mich selbst verraten. Aber Nimue wird das nicht passieren. Die wird bis zum bitteren Ende gehen, Derfel.«
»Aber wird es ihr gelingen?«
»Ich hätte gerne eine Katze«, sagte er nach einer Weile. »Mir fehlen die Katzen.«
»Erzählt mir etwas über die Beschwörung.«
»Du weißt doch schon alles!« antwortete er gekränkt. »Nimue wird Excalibur finden, sie wird sich den armen Gwydre holen, und die Riten werden richtig ausgeführt werden. Hier auf dem Berg. Aber werden die Götter auch kommen? Das ist die Frage, stimmt’s? Du betest Mithras an, nicht wahr?«
»Ja, Lord.«
»Und was weißt du von Mithras?«
»Er ist der Gott der Soldaten«, antwortete ich. »Er ist in einer Höhle geboren. Und er ist der Gott der Sonne.«
Merlin lachte. »Du weißt so wenig! Er ist der Gott der Schwüre. Wußtest du das? Und kennst du die Grade der Mithrasanbetung? Wie viele Grade hast du?« Ich zögerte, die Geheimnisse der Mysterien preiszugeben. »Sei nicht albern, Derfel!« schalt mich Merlin, und seine Stimme klang dabei so normal, wie sie sein Leben lang gewesen war.
»Wie viele? Zwei? Drei?«
»Zwei, Lord.«
»Dann hast du die anderen fünf vergessen! Welche sind deine beiden?«
»Soldat und Vater.«
» Miles und Pater sollten sie genannt werden. Und früher gab es außerdem Leo, Perses, Nymphus und Heliodromus. Wie wenig du von deinem elenden Gott weißt! Aber schließlich ist dein Glauben nichts weiter als ein Schattenglauben. Ersteigt ihr die siebensprossige Leiter?«
»Nein, Lord.«
»Trinkt ihr Wein und eßt ihr Brot?«
»Das machen die Christen, Lord«, protestierte ich.
»Die Christen! Ihr seid doch alle Schwachköpfe! Mithras’ Mutter war eine Jungfrau, Schafhirten und weise Männer kamen, um ihr neugeborenes Kind zu sehen, und Mithras wuchs zu einem Heiler und Lehrer heran. Er hatte zwölf Jünger, und am Abend seines Todes tischte er ihnen ein letztes Abendmahl aus Brot und Wein auf. Er wurde in einem Felsengrab beigesetzt und stand wieder auf, und das alles geschah, lange bevor die Christen ihren Gott an einen Baum nagelten. Ihr laßt zu, daß die Christen die Kleider eures Gottes stehlen, Derfel!«
Ich starrte ihn an. »Ist das wahr?« fragte ich ihn.
»Es ist wahr, Derfel«, versicherte Merlin und hob sein zerstörtes Gesicht an die roh behauenen Stangen. »Ihr verehrt einen Schattengott. Er verläßt euch nämlich, genau wie unsere Götter uns verlassen. Sie alle gehen dahin, Derfel, sie alle gehen in den leeren Raum. Sieh nur!« Er zeigte zum wolkenverhangenen Himmel empor. »Die Götter kommen, und die Götter gehen, Derfel, und ich weiß nicht mehr, ob sie uns hören oder uns sehen. Sie kommen am großen Rad des Himmels an uns vorbei, und nun ist es der Christengott, der regiert, und der wird eine ganze Weile regieren, aber das Rad wird auch ihn in den leeren Raum tragen, und die Menschheit wird wieder im Dunkeln zittern und nach neuen Göttern suchen. Und sie finden, denn die Götter kommen und gehen, Derfel, gehen und kommen.«
»Aber wird Nimue das Rad zurückdrehen können?« fragte ich.
»Vielleicht wird sie das«, sagte Merlin bedrückt, »und mir wäre das nur recht, Derfel. Ich hätte gern meine Augen wieder, und meine Jugend, und meine Freude.« Er legte die Stirn an die Käfigstangen. »Ich werde dir nicht helfen, den Zauber zu brechen«, sagte er leise – so leise, daß ich ihn fast nicht verstehen konnte. »Ich liebe Ceinwyn, aber wenn Ceinwyn für die Götter leiden muß, dann tut sie etwas sehr Edelmütiges.«
»Lord«, begann ich ihn anzuflehen.
»Nein!« Er schrie es so laut, daß im Lager hinter uns ein paar Hunde zu jaulen begannen.
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