Artus-Chroniken 3. Arthurs letzter Schwur
»Komm her, Mädchen!«
»Ich werde dafür sorgen, daß Derfel verschwindet«, erklärte Nimue, ergriff meinen Ellbogen und führte mich auf den inneren Festungswall zu.
»Nimue!« rief Merlin.
Sie ignorierte ihn und zerrte mich den Grashang bis zu dem Pfad auf dem Wall empor. Ich starrte auf den komplizierten Ring aus Brennholzhecken. »Eine Menge Arbeit, die ihr da geleistet habt«, sagte ich unsicher.
»Und alles verschwendet, wenn wir nicht die richtigen Rituale anwenden«, sagte Nimue giftig. Merlin war zwar zornig auf mich gewesen, aber sein Zorn war zumeist vorgetäuscht und kam und ging blitzschnell. Nimues Wut dagegen war tief und mächtig und hatte ihr weißes, keilförmiges Gesicht verzerrt. Sie war nie schön gewesen, und der Verlust ihres Auges hatte ihrem Gesicht einen einschüchternden Ausdruck verliehen, aber es lag eine Wildheit und Intelligenz in ihren Zügen, die sie unvergeßlich machten, und jetzt, auf diesem hohen Wall im kalten Westwind, wirkte sie auf mich einschüchternder denn je.
»Besteht denn die Gefahr, daß das Ritual nicht richtig ausgeführt wird?« fragte ich.
»Merlin ist genau wie du«, behauptete sie zornig, ohne auf meine Frage zu antworten. »Er ist gefühlsbetont.«
»Unsinn!« entgegnete ich.
»Was weißt du denn schon, Derfel!« fuhr sie mich an. »Mußt du dir seine Großtuerei gefallen lassen? Mußt du dich mit ihm herumstreiten?
Mußt du ihn beschwichtigen? Mußt du zusehen, wie er den größten Fehler aller Zeiten macht?« Sie spie mir diese Fragen regelrecht ins Gesicht. »Mußt du zusehen, wie er all seine Mühe verschwendet?« Mit ihrer mageren Hand winkte sie zu den Feuern hinüber. »Du bist ein Narr«, setzte sie bitter hinzu. »Wenn Merlin furzt, glaubst du, er gibt Weisheiten von sich. Er ist ein alter Mann, Derfel, und hat nicht mehr lange zu leben, und außerdem verliert er seine Macht. Macht, Derfel, kommt von innen.« Mit der Faust schlug sie sich zwischen die kleinen Brüste. Sie war auf dem Kamm des Festungswalls stehengeblieben und wandte sich nun zu mir um. Ich war ein kraftstrotzender Krieger und sie eine winzige, dürre Frau, und dennoch war sie stärker als ich. So war es immer schon gewesen. In Nimue wohnte eine Leidenschaft, so tief, dunkel und stark, daß so gut wie gar nichts ihr standzuhalten vermochte.
»Warum sind Merlins Gefühle eine Gefahr für das Ritual?« wollte ich wissen.
»Sie sind es einfach!« behauptete Nimue, machte kehrt und ging weiter.
»Sag’s mir«, verlangte ich.
»Niemals!« fuhr sie mich an. »Du bist ein Schwachkopf.«
Ich ging hinter ihr. »Wer ist Olwen, die Silberne?« erkundigte ich mich.
»Ein Sklavenmädchen, das wir in Demetia gekauft haben. Sie wurde von Powys gefangengenommen und hat uns über sechs Goldstücke gekostet, weil sie so hübsch ist.«
»Das ist sie«, bestätigte ich und dachte an ihren graziösen Schritt in der stillen Nacht von Lindinis.
»Das findet Merlin auch«, antwortete Nimue verächtlich. »Er zittert schon, wenn er sie nur sieht, aber er ist jetzt viel zu alt, und außerdem müssen wir wegen Gawain so tun, als wäre sie noch eine Jungfrau. Und dieser arme Narr glaubt uns! Aber der würde uns alles glauben. Er ist ein Vollidiot!«
»Und wenn alles vorüber ist, wird er sich dann mit Olwen vermählen?«
Nimue lachte. »Das haben wir dem Schwachkopf versprochen, aber sobald er erfährt, daß sie als Sklavin und nicht als Geist geboren ist, wird er seine Meinung vermutlich ändern. Also werden wir sie weiterverkaufen. Möchtest du sie vielleicht erwerben?« Sie warf mir einen schiefen Blick zu.
»Nein.«
»Ceinwyn immer noch treu?« fragte sie spöttisch. »Wie geht es ihr?«
»Es geht ihr gut«, antwortete ich.
»Und wird sie nach Durnovaria kommen, um die Beschwörung mitzuerleben?«
»Nein«, antwortete ich.
Nimue wandte sich um und schenkte mir einen argwöhnischen Blick.
»Aber du kommst?«
»Ich werde zusehen, ja.«
»Und Gwydre?« fragte sie weiter, »Wirst du ihn mitbringen?«
»Er möchte mitkommen, ja. Aber zuvor muß ich die Erlaubnis seines Vaters einholen.«
»Sag Arthur, er soll ihn mitkommen lassen. Jedes Kind in Britannien sollte die Ankunft der Götter miterleben. Es wird ein Anblick sein, den niemand je vergessen wird, Derfel.«
»Dann wird es also geschehen?« fragte ich sie. »Trotz Merlins Fehler?«
»Es wird geschehen«, sagte Nimue boshaft. »Merlin zum Trotz. Es wird geschehen, weil ich dafür sorgen werde, daß es geschieht. Ich werde
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