Ascalon – Das magische Pferd, Band 3: Ascalon – Das magische Pferd. Der Schlüssel von Avalon
zu haben, dass sie nur nach vorn blickte. Zielstrebig ging sie durch die verwinkelten Teile der Burg. Muriel hatte sich längst hoffnungslos verlaufen. Sie wusste zwar, dass Lillian zu den Stallungen wollte, hatte aber keine Ahnung, wo diese sein mochten.
Je weiter die privaten Gemächer des Königs hinter ihr zurückblieben, desto mehr Menschen begegneten ihr. Und je mehr sich die Gänge und Hallen mit Leben füllten, desto langsamer wurde Lillian. Es war offensichtlich, dass sie bemüht war kein Aufsehen zu erregen. Muriel war das nur recht. Umso besser konnte sie ihr folgen.
Den Knaben, der mit einem silbernen Tablett voller Obst um eine Ecke kam, bemerkte sie erst im letzten Augenblick. Beherzt sprang sie zur Seite, aber es war schon zu spät. Der Junge, nicht viel älter als Mirko, stolperte über ihren Fuß und stürzte mit einem erschrockenen Aufschrei zu Boden.
Äpfel, Birnen und Weintrauben flogen in hohem Bogen durch die Luft und verteilten sich in weitem Umkreis auf dem Fußboden, während der Page das Tablett geistesgegenwärtig auffing und vor Schaden bewahrte.
»Oh nein!« Beschämt blickte Muriel auf das Bild der Verwüstung. Was geschehen war, war allein ihre Schuld. Denn eigentlich hätte sie gar nicht hier sein dürfen. Was nun? Unschlüssig schaute sie den Gang entlang. Lillian schien nichts von dem Unglück mitbekommen zu haben. Zwischen den vielen Menschen war ihr blaues Kleid nur noch schwer auszumachen. Nicht mehr lange und Muriel würde sie nicht mehr sehen können.
Na los. Worauf wartest du noch?, spornte sie sich in Gedanken an. Lauf ihr nach, sonst war alles umsonst.
Muriel straffte sich. Sie durfte sich nicht aufhalten lassen.
»Verzeiht«, hörte sie den Jungen in ihre Gedanken hinein sagen. Er war schon dabei, die Äpfel wieder auf das Tablett zu legen. »Ich ... ich wollte das nicht. Wirklich nicht.« Er schaute Muriel an und sie sah, dass er weinte.
»Ach, das ist doch nicht so schlimm«, sagte sie tröstend. »Ich hätte aufpassen müssen. Dich trifft keine Schuld.«
»Das wird der Mundschenk aber anders sehen.« Die Augen des Knaben waren vor Furcht ganz groß. Er zitterte. »Er ... er ist sehr streng und wird mich gewiss der Burg verweisen, weil ich so ungeschickt bin.«
»Das würde er tun?« Muriel war zutiefst erschrocken.
»Er hat schon Bedienstete mit der Peitsche gezüchtigt.« Der Junge nickte.
»... du darfst die Vergangenheit nicht verändern, Muriel. Das könnte schlimme Folgen haben.« Die Worte der Schicksalsgöttin strichen mahnend durch Muriels Gedanken. Aber was sollte sie tun? Der Junge hätte das Obst ungehindert zu dem Empfänger bringen müssen. So war es damals gewesen und so musste es auch diesmal wieder sein. Wenn der Mundschenk ihn nun durch ihre Schuld der Burg verwies, konnte das fatale Folgen haben. Der Junge, der eigentlich ein Leben auf der Burg hätte führen sollen, würde sein Leben nun womöglich bettelarm vor den Toren Camelots fristen. Vielleicht würde er krank werden oder vor Hunger sterben und nie eine eigene Familie haben, nur weil sie ...
»... Die Geschichten unzähliger Familien können durch einen winzigen Eingriff komplett verändert werden. Neue Sippen würden entstehen, andere würden nie existieren.« Wieder dachte Muriel an das, was die Göttin ihr nach ihrem ersten Ritt durch die Zeit erklärt hatte. »... Wenn der schlimmste Fall eintritt, könntest du sogar dich selbst mit einer solch unbedachten Handlung auslöschen ...«
Muriel erschrak, als sie sich ausmalte, was sie vielleicht gerade angerichtet hatte. Sie spürte, dass sie dem Jungen helfen und das Unheil wiedergutmachen musste – selbst wenn sie dafür Lillian aus den Augen verlor. Ein letztes Mal sah sie den Gang entlang, wo Lillian gerade um eine Ecke bog. Dann schaute sie den Jungen an und zwang sich zu einem Lächeln. »Mach dir keine Sorgen«, sagte sie aufmunternd. »Ich helfe dir, die Speisen wieder herzurichten. Du wirst sehen, niemand wird etwas von dem kleinen Missgeschick erfahren.« Dann hockte sie sich auf den Boden und half dem Jungen beim Einsammeln.
Auf der Flucht
Fünf Minuten später lagen Äpfel, Birnen und Weintrauben wieder einträchtig nebeneinander auf dem silbernen Tablett. Nicht so schön, wie der Mundschenk sie angerichtet hatte, aber immerhin so ordentlich, dass der Page seinen Auftrag ausführen konnte, ohne Ärger zu bekommen.
Muriels Kleid war schmutzig, weil sie das Obst daran gesäubert hatte. Aber das war ein geringes Übel,
Weitere Kostenlose Bücher