Asche und Phönix
unten.
Das war nicht das Ende, aber es machte den Rest sehr viel leichter. Die Arme und der Torso bewegten sich noch immer unter dem Stuhl, ziellos wie ein geköpfter Hahn.
Ash hob ihre Trophäe vom Boden auf. Die Kiefer schnappten nach ihr, konnten sie aber nicht erreichten.
Nach kurzem Zögern ließ Epiphany den Hocker los. Er wanderte auf dem Torso durchs Zimmer und stieß polternd gegen den Tresen.
»Und nun?«, fragte sie.
Ash nickte zur Küchenzeile.
Epiphany lächelte grimmig und öffnete die Mikrowelle.
60.
Libatique erfährt vom Ende seines Dieners, während er den Bentley durch die erleuchteten Straßen Monte Carlos steuert. Er ist kein guter Autofahrer, darum nimmt er für gewöhnlich die Dienste eines Chauffeurs in Anspruch. Er ist ungeduldig, fährt zu nah auf und verabscheut rote Ampeln. Aber weder Autos noch Ampeln sind für einen wie ihn gemacht. Beide stellen seine Menschlichkeit auf die Probe. An beiden scheitert er.
Er ist müde und ausgelaugt. Nineangels Tod hat ihm tiefe Genugtuung bereitet, aber die Ereignisse auf Cap Ferrat haben ihn geschwächt. Außerdem hat er in dieser Nacht seinen Diener verloren, und es gibt niemanden in der Nähe, der ihn ersetzen könnte. Er kann nur jene Menschen wiederbeleben, die einen Pakt mit ihm geschlossen haben, und davon gibt es nicht mehr viele.
Nun muss er sich beeilen, den Jungen zu finden. Er spürt, wie ihn die Energie verlässt. Libatique ist erschöpft und er fragt sich, wann aus Nachlässigkeiten fundamentale Fehler geworden sind.
Nun also auch Guignol. Eben erst hat Libatique die Überreste seines Dieners am Fuß des Hochhauses aus dem Kofferraum befreit. Dort hinten im Dunkeln hatten sie sich aus eigener Kraft zusammengefügt, so gut es ihnen möglich war; nicht alles, was Royden aus den Zwingern geholt hatte, war noch zu retten gewesen.
Libatique hatte Guignol den Kopf getätschelt wie einem treuen Hund, bevor er ihm den Befehl gab, an der Fassade des Hauses hinaufzuklettern. Durch ein Fenster sollte er beobachten, ob Parker und Ashley sich im zwölften Stock aufhielten. Aber Guignol war in diesem Zustand unberechenbar und sein Hass unersättlich geworden. Womöglich hätte Libatique voraussehen müssen, dass er die Scheibe zerbrechen und Jagd auf die Lebenden machen würde. Doch immerhin weiß er nun, dass der Junge nicht dort oben im Haus ist.
Libatique hat das Radio eingeschaltet. Guignol und er teilten eine tiefe Wertschätzung klassischer Musik, manchmal fuhren sie stundenlang und lauschten dabei den dunklen Kantaten Bachs und Wagners gewaltigen Ouvertüren. Libatique bedient das Radio ungern, weil es ihm schwerfällt, dabei auf den Verkehr zu achten. Einmal fährt er fast auf einen Kleintransporter, da der Suchlauf nur Lokalsender erkennt und Libatique die manuelle Einstellung nicht findet.
Während er erwägt, den Fahrer des Transporters mit den eigenen Eingeweiden zu erdrosseln, hört er etwas, das ihn aufhorchen lässt. Eine Reporterin, deren flüchtiger Ruhm ihn – das schmeckt er gleich an ihrer Stimme – keinen Tag lang satt machen würde. Doch was sie sagt, bereitet ihm Vergnügen, denn nun weiß er, wo er Parker Cale finden wird.
Der Junge ist wahrscheinlich so geschwächt wie er selbst. Von seinem Vater hat er die Sucht nach Ruhm geerbt. Nur in einem kleinen Maß und nicht vergleichbar mit den Auswirkungen eines eigenen Pakts mit Libatique; aber ein wenig davon ist bei seiner Geburt auf ihn übergegangen. Es war nur eine Frage der Zeit, ehe er wieder auftauchen würde. Parker braucht die lächerliche Liebe seiner Anhänger. Welche bessere Gelegenheit gäbe es dafür als die Mitternachtspremiere seines neuen Films? Erst recht nach all dem Aufsehen, das sein Verschwinden verursacht hat.
Libatique verabscheut die Massen. Aber ihre Aufmerksamkeit allein ist für ihn nicht gefährlich. Er könnte die Hälfte dieser Menschen vor laufenden Kameras zerfetzen – und vielleicht wird das nötig sein –, aber die Blicke der Welt könnten ihm dabei nichts anhaben. Solange er sich nicht ihr Ansehen verdient, ihren Respekt und ihre Bewunderung, ja, ihre Liebe, kann ihm Berühmtheit nicht schaden. Sie wäre lästig, würde einen Wechsel seiner Identität erforderlich machen, aber das könnte er hinnehmen. Wenn er nur neue Stärke aus der Unterwerfung des jungen Cale schöpfen kann. Parkers Ruhm wird Libatique jahrelang sättigen.
Die Erregung schenkt ihm Kraft. Er wird demonstrieren, wozu er in der Lage ist. Wenn sie erst
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