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Asche und Phönix

Asche und Phönix

Titel: Asche und Phönix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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aussieht.«
    »Ich wollte auch nicht für einen Tag die Rollen tauschen, falls du das befürchtest.«
    Sie deutete auf das Foto auf dem Tisch, auf dem Parker jetzt wie aus einem Nebel auftauchte. »Das da bist du. Ob du nun auf dem roten Teppich stehst oder auf einem Sperrmüllsofa sitzt – du bleibst Parker Cale. Unsichtbar geht anders.«
    »Zumindest die Sache mit dem roten Teppich dürfte sich erledigt habe.« Er erzählte ihr von der Pressekonferenz, vom Bruch mit seinem Vater und davon, dass er laut gesagt hatte, was er wirklich von The Glamour hielt.
    Mit einem ungläubigen Lachen wollte sie nachhaken, als er fragte: »Und du? Warum klaust du überhaupt?«
    »Mein Therapeut behauptet, alles, was ich stehle, stehle ich in Wahrheit meinem Vater.«
    »Versteh ich gut.«
    Jetzt musste sie grinsen. »Glaubst du wirklich , ich würde klauen, wenn ich mir einen Therapeuten leisten könnte?«
    »Winona macht das. Und Lindsay auch.«
    »Ja. Drüben in deiner Welt.«
    Darauf schwiegen sie, ehe Ash die Brauen hob und leise sagte: »Was ist nun mit dieser Chimena?«
    »Ich weiß nicht, was sie ist oder woher sie kommt«, sagte Parker. »Aber sie ist immer da gewesen, schon als ich ein Kind war.« Er strich sich dunkle Strähnen aus der Stirn, aber seine Augen blieben im Schatten. »Und sie hat nie anders ausgesehen als heute.«

12.
    Wie hätte wohl die Presse reagiert, wenn er ihnen von seiner ewig jungen Assistentin erzählt hätte? Von der bezaubernden Chimena, die seit zwanzig Jahren aussah wie zwanzig – wenn sie nicht gerade über U-Bahn-Dächer kroch oder wie eine Echse die Farbe wechselte. Die auf ihn aufpasste, solange er zurückdenken konnte.
    Er beobachtete Ash, während er sprach. Sie unterbrach ihn kein einziges Mal. Gegen Mitternacht stand sie auf, putzte sich die Zähne und ging schlafen.
    Während er es sich auf dem Sofa leidlich bequem machte, dachte er über sie nach. Den ganzen Abend war sie auf eine Weise distanziert geblieben, die vermutlich gar nichts mit ihm zu tun hatte. Die meisten Mädchen schüchterte er ein, ohne es zu wollen; das lag an dem, was sie in ihm sahen, nicht an ihm selbst.
    Ashs Zurückhaltung aber fühlte sich anders an. Eher wie die eines verletzten Tiers, das nach jedem schnappte, der ihm zu nahe kam. Sie trug Narben wie er selbst, innen und wahrscheinlich auch außen. Er sah ihr den Schmerz an, und was er wiedererkannte, war nicht nur sein Spiegelbild in ihren hübschen grünen Augen.
    Um halb drei in der Nacht wachte er auf, trat ans Fenster und blickte hinunter auf den verlassenen Kreisverkehr und die Fußgängerunterführung. Sie war unbeleuchtet. Stand da jemand in der Finsternis und sah zu ihm herauf? Es war nur eine Frage der Zeit, bis Chimena ihn fand, sogar hier. Ihre nicht menschlichen Sinne funktionierten besser in der Öffentlichkeit, auf Straßen, Plätzen und in Gebäuden mit vielen Menschen; wie über elektrische Leiter sprang die Nachricht von Parkers Anwesenheit unbemerkt von einem zum anderen über und gelangte unausweichlich zu Chimena. Mochte der Teufel wissen, wie sie das machte. Aber auch ohne Menschenmassen war sie sicher schon in seiner Nähe.
    Er hatte die Nase gestrichen voll von der Fremdbestimmung durch sie und seinen Vater. Vielleicht waren seine Worte vor der Presse zu impulsiv gewesen, aber er hatte nur ausgesprochen, was ihm keine Ruhe mehr ließ: Er wollte nicht länger Royden Cales Sohn sein und erst recht nicht seine Kreatur Phoenix Hawthorne, am Reißbrett konzipiert und von einem Ghostwriter zum Leben erweckt.
    Womöglich hätte er die Sache diplomatischer angehen sollen. Er war froh, dass es raus war, aber er hätte zuvor den Mut aufbringen sollen, seinen Vater über seine Entscheidung in Kenntnis zu setzen. Doch hätte der tatenlos mitangesehen, wie Parker sich von The Glamour distanzierte? Hätte Chimena die Pressekonferenz überhaupt zugelassen, wenn sie geahnt hätte, was Parker dort verkünden würde? Um nichts in der Welt.
    Er kam sich vor wie ein Feigling, weil er vor seinem Vater davonlief. Vielleicht war es besser, sich ihm ein für alle Mal zu stellen. Außerdem war es falsch gewesen, das Mädchen in die Sache heineinzuziehen. Für Ash stand mehr auf dem Spiel als für ihn.
    Parker stieß ein leises Seufzen aus, sein Atem ließ die Fensterscheibe beschlagen. Es hatte keinen Zweck, vor Chimena davonzulaufen. Morgen früh würde er sich aufmachen, um seinem Vater gegenüberzutreten. Er würde ihm in die Augen sehen und ihm alles

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