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Asche und Phönix

Asche und Phönix

Titel: Asche und Phönix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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sehen.
    Zugleich stieß Guignol einen seiner furchtbaren Schreie aus. Parker machte einen Schritt an Chimena vorbei. Endlich freies Schussfeld.
    »Chimena?«, fragte Ash noch einmal.
    Ein tiefer Seufzer, dann sackte die Frau in sich zusammen. Ash umfasste ihren Oberkörper, ein neuerlicher Schmerz raste durch ihren Arm, aber es gelang ihr, die Verletzte aufzufangen.
    Guignol knurrte und fauchte, gab Parker aber keine Gelegenheit zu einem Kopfschuss aus nächster Nähe: Mit einem bösartigen Zischen wirbelte er herum und hastete mit eckigen Bewegungen die Treppe hinunter. Seine Schritte entfernten sich im Dunkeln, bald darauf herrschte Stille.
    Parker zielte noch einige Sekunden länger auf die Mündung der Traboule, dann fiel er neben Ash und Chimena auf die Knie, ohne die Tunnelöffnung aus den Augen zu lassen.
    Ash hatte Chimena so gut es ging herumgedreht und ihren Hinterkopf in ihren Schoß gebettet. Die beiden Fleischwunden am Hals waren verheerend, doch sie bluteten noch immer nicht. Die Furchen, die Guignols Krallen hinterlassen hatten, sahen aus, als wären sie durch Ton gezogen worden. Ein eigenartiger Geruch stieg davon auf, scharf wie Ammoniak.
    »Was seid ihr für Typen?«, flüsterte Ash.
    »Nicht ich«, sagte Parker. »Nur er« – er deutete zur Treppe, über die Guignol verschwunden war – »und sie.«
    Das beruhigte sie kein bisschen. Aber ganz gleich, was Chimena sein mochte – Mensch oder Schutzengel oder Alien von der Venus –, sie hatte nicht mehr lange zu leben. Falls sie sich nicht mit einem Leuchtfinger heilen konnte, ging es gerade zu Ende mit ihr.
    »Er … gehört zu Libatique …«, stieß sie heiser hervor. »… musst zu deinem Vater … Du bist der Einzige, der ihn … noch retten kann …«
    Parker presste die Lippen aufeinander. Hinter ihnen näherten sich Menschen. Aus den Tiefen des Tunnels hatten sie nicht mitansehen können, was im Hof geschehen war. Ash rückte enger an Parker heran, um Chimena vor den Blicken der anderen zu schützen.
    Luciens gehetzte Stimme erklang, als er sich durch die überfüllte Traboule drängte. Er sah nur kurz zu den beiden herüber und begann sofort, die Schaulustigen zurück in den Gang zu treiben. Dabei redete er unablässig auf sie ein, übertönte jeden Protest und verwehrte ihnen den Blick in den Hof.
    »Geh …«, raunte Chimena noch einmal, als sich ihre Augenlider schlossen. »Geh zu deinem Vater …«
    Die Wundränder brodelten und weiteten sich, verschlangen Hals und Schädel, und noch ehe Ash sie loslassen konnte, zerfiel Chimena auf ihrem Schoß zu weißgrauem Staub.

21.
    Ash stand reglos unter Luciens Dusche und ließ sich den harten Wasserstrahl aufs Gesicht prasseln.
    Irgendwann blickte sie an sich hinunter und stellte fest, dass der weiße Puder noch immer an einigen Stellen ihres Körpers klebte, allem Duschgel zum Trotz. Aus dem Staub war in Verbindung mit dem Wasser eine fettige Schmiere geworden. Mehr war von Chimena nicht übrig geblieben.
    Parker hatte gleich aufbrechen wollen, aber sie hatte ihm den Autoschlüssel abgenommen und sich damit im Bad eingesperrt. Er hatte zu viel getrunken, außerdem musste sie erst nachdenken. Darüber, was sie jetzt tun konnte. Wie sie mit alldem umgehen wollte. Was sie überhaupt davon halten sollte.
    Schließlich rubbelte sie sich Chimenas Überreste mit einem Handtuch vom Körper, bis die Haut feuerrot war. Sie hängte sich ihr Anch, das Kreuz und die übrigen Symbole um den Hals und schlüpfte in die Kleidung, die Lucien ihr von einer der Mitbewohnerinnen im Haus besorgt hatte. Sie musste den beschlagenen Spiegel abwischen, um sich darin zu betrachten, und fand, dass sie wie ein Blumenkind aussah, in hautengen Jeans mit weitem Schlag und einer weinroten Batikbluse, die ihr bis auf die Oberschenkel fiel. Sie trug so etwas sonst nie und neigte verwundert den Kopf, weil sie sich gar nicht mal unwohl darin fühlte. Lucien hatte ihr angeboten, für eine Weile bei ihm und seinen Künstlerfreunden zu bleiben, aber das hatte sie weniger überrascht als der finstere Blick, den Parker ihm daraufhin zugeworfen hatte. Hätte er nicht froh sein müssen, sie loszuwerden?
    Sie beugte sich näher an den Spiegel und suchte nach Rückständen des Puders in ihren Augenwinkeln, fand jedoch keine. Dafür hatte sie den Eindruck, dass sich ihre Sommersprossen vervielfacht hatten. Als hätte sie die vergangenen Stunden in extremem Sonnenschein verbracht. Mitten in der Nacht.
    Ihr schwarzer Bobschnitt

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