Asche und Phönix
Glattes schwarzes Haar, eine schmale Nase, ausgeprägte Wangenknochen. Sie trug einen dunklen Kurzmantel, ihre Hände steckten in den Taschen. Ihre Lederstiefel hatten flache Absätze, trotzdem war sie fast einen Kopf größer als Ash.
»Chimena«, stellte sie sich vor. »Wo ist Parker?«
»Nicht hier.«
In einiger Entfernung sah Lucien verwundert herüber. Ash nahm an, dass er Chimena kannte, vielleicht von Premierenfeiern oder Dreharbeiten. Aber seine Augen verengten sich, so als gefiele es ihm ganz und gar nicht, dass sie hier auftauchte.
»Ich muss mit ihm sprechen«, sagte Chimena. Ihre Haut war makellos, nicht die kleinste Unreinheit, keine Leberflecken oder Sommersprossen. Ihr schmaler, heller Hals hob sich vom hochgeschlagenen Kragen ihres Mantels ab wie eine Skulptur aus Eis.
»Er will dich nicht sehen!« Ash fand allmählich zurück zu ihrer gewohnten Kaltschnäuzigkeit.
»Er ist in Gefahr. Und du willst doch auch nicht, dass ihm etwas zustößt, oder?«
Lucien beendete das Gespräch mit der älteren Frau und stand auf, schien aber noch unschlüssig, ob er herüberkommen sollte.
»Was für eine Gefahr?«, fragte Ash und fügte kurz entschlossen hinzu: »Wegen Libatique?«
Chimena musterte sie. »Er hat dir von Libatique erzählt …? Egal, ich weiß, dass er hier ist. Und ich finde ihn auch ohne dich. Aber es geht schneller, wenn du mir die Richtung verrätst.« Sie deutete mit einem Nicken zu den Torbogen der drei Traboules, die vom Hinterhof abgingen.
»Er telefoniert gerade mit seinem Vater. Das wolltest du doch, oder?«
»Ich bin hier, damit er am Leben bleibt.«
Ashs Mund war trocken geworden. Einen Moment lang überlegte sie, ob Chimena sich über sie lustig machte.
»Alles in Ordnung?«, fragte Lucien und tat überrascht: »Chimena! Schön, dich zu sehen. Kann ich dir ein Glas Wein bringen?«
Sie würdigte ihn keines Blickes. »Nein. Geh einfach, Lucien.« Ihre Augen blieben auf Ash fixiert. »Ich frage dich noch mal: Wo ist er?«
»Hey«, sagte Lucien. »Ich bin sicher, Parker ist gleich wieder hier und –«
»Verpiss dich, Lucien!« Jetzt erst wandte Chimena ihm das Gesicht zu. »Ich bin in Eile. Geh zurück zu deinen kleinen Französinnen, oder womit du dich sonst beschäftigst. Trink Wein. Iss Käse. Geh! «
Ash verschränkte die Arme. »Was soll das?«
Auch Lucien wollte etwas sagen, aber Chimenas Arm schoss so schnell auf ihn zu, dass Ash erst glaubte, sie wollte ihm ins Gesicht schlagen. Doch ihre Hand verharrte unmittelbar vor ihm. Ganz sanft legte sie ihm den Zeigefinger auf die Lippen. »Psst«, machte sie. »Sag besser nichts.«
Ash wollte einen Schritt zurücktreten, aber die niedrige Mauer war im Weg.
Ein Geräusch ertönte, das alle Gespräche im Hof verstummen ließ – ein ferner, hoher Schrei, zornig wie der einer kämpfenden Katze, aber ohne jeden Zweifel von einem Menschen ausgestoßen.
Sorgenfalten erschienen auf Chimenas Gesicht, doch gleich darauf zeigte sie wieder ihre perfekte Oberfläche. Sie sah zu dem Durchgang hinüber, aus dem der Laut auf den Hof gedrungen war. Es war der, in dem Parker vorhin verschwunden war.
»Was zum Teufel war das?«, fragte Ash.
»Guignol«, sagte Chimena und rannte los.
20.
Ash folgte Chimena in den Tunnel, aber schon nach den ersten Schritten stand fest, dass sie mit dem Tempo der Frau nicht mithalten konnte. Sie sah nur einen Schemen hinter der Biegung verschwinden.
Lucien rief etwas, aber Ash verstand ihn nicht. Sie bog ebenfalls um die Ecke, sah keine Spur von Chimena, hörte aber einen Aufschrei.
Parker!
Sie stürmte den Tunnel hinunter, erreichte den Ausgang und sah vor sich einen kleinen Innenhof. Das einzige Licht fiel aus der Traboule, aus der sie gekommen war, und reichte nur wenige Meter weit. Im Hintergrund ließen sich nur vage Formen erahnen, Steinbögen und Säulen rund um den Hof.
An einer davon lehnte Parker, weit vorgebeugt, die Hände auf die Knie gestützt. Vor ihm am Boden lag ein rostiger Fahrradrahmen, an dessen Gabel Feuchtigkeit glitzerte. War das Öl? Oder Blut?
In der Mitte des Hofes wirbelten zwei Gestalten umeinander wie in einer Zentrifuge, zu schnell für das menschliche Auge. Eine der beiden musste Chimena sein, die sich auf jemanden gestürzt hatte, den Parker mit dem Metallrahmen abgewehrt und verletzt hatte.
Ash lief auf Parker zu, der erschrocken aufblickte, sie im nächsten Moment erkannte und brüllte: »Hau ab, Ash! Du musst weg von –«
Aus dem Wirbel in der Mitte des
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