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Asche und Phönix

Asche und Phönix

Titel: Asche und Phönix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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war nass und zerstrubbelt, aber sie hatte weder Lust noch Ruhe, sich die Haare zu föhnen. Sie steckte den Wagenschlüssel in die Hosentasche und verließ das Bad. In der Küche am Ende des Korridors wurden Stühle gerückt.
    Entschlossen ging sie auf Parker und Lucien zu und teilte ihnen ihre Absicht mit.
+ + +
    In der Morgendämmerung begleitete Lucien sie zum Auto. Er trug eine Tennistasche mit offenem Reißverschluss. Alle paar Schritte blickte er sich nervös nach Verfolgern um und behielt die Einfahrten und Hauseingänge im Blick. Er erkundigte sich nicht, was aus Chimena geworden war. Vielleicht hatte Parker ihm alles – oder irgendetwas – erzählt, als sie in der Küche gesessen hatten.
    Ash fragte sich, wie eng die Freundschaft der beiden war. Verwundert bemerkte sie, dass sie sich ausgegrenzt fühlte. Es musste daran liegen, dass sie zum ersten Mal in einem fremden Land war, unter Menschen, deren Sprache sie nicht verstand – und Parker und Lucien die beiden Einzigen waren, mit denen sie sich verständigen konnte.
    Schrammen und blaue Flecken erinnerten sie daran, dass sie sich die Ereignisse der Nacht nicht eingebildet hatte. Aber schon jetzt sah sie den Angreifer nur noch vage in ihrer Erinnerung, wie etwas, von dem ihr andere erzählt hatten.
    Während sie zu dritt die steilen Straßen von La Croix-Rousse hinaufstiegen, sprachen sie nicht viel. Falls Chimenas Ende Parker mitgenommen hatte, so zeigte er es nicht. Er bestand darauf, dass er nüchtern genug zum Fahren sei. Auch Ash, die keinen Führerschein besaß, spürte die Wirkung des Weins nicht mehr. Der Schock und der Stress der vergangenen Nacht überlagerten alles.
    Nachdem sie eingestiegen waren – Ash in ihren neuen Hippiesachen, Parker in Jeans und einem von Luciens weiteren Sweatern –, wandte sich der Franzose durch das offene Seitenfenster an Parker. »Hier verrät euch keiner. In dieser Gegend interessiert sich kein Mensch dafür, wer du bist. Und die meisten haben eh nur ein paar Schatten gesehen.«
    Parker nickte nur.
    »Noch kannst du es dir anders überlegen«, sagte Lucien zu Ash.
    »Lieb von dir. Aber ich fahre mit.«
    In Luciens Blick stand Bedauern, dann sah er wieder Parker an. »Pass auf sie auf. Und du, Ash, komm mal wieder vorbei. Ihr beide, natürlich.«
    Parker ließ den Motor an, manövrierte den Wagen aus der Parklücke und ließ ihn über das holprige Pflaster bergab rollen. Ash warf einen Blick über die Schulter und sah Lucien, der hinter ihnen auf der Straße stand, beide Hände tief in den Taschen vergraben. Erst nach der nächsten Kreuzung gab Parker Gas.
    Vor Ashs Füßen lag ihr Rucksack mit der Kamera, daneben Luciens Tennistasche. Der Reißverschluss stand noch immer ein Stück offen. Im Inneren war der Griff der Schrotflinte zu erkennen, ein Relikt der Hausbesetzer, die vor einigen Jahrzehnten die Gebäude des Viertels vor dem Verfall gerettet hatten. Lucien hatte die Waffe irgendwann im Keller entdeckt, in einer Kiste mit abgegriffenen Ausgaben des Kommunistischen Manifests, zwei Handgranatenattrappen und verschimmelten Filmplakaten von Spaghettiwestern. Er hatte behauptet, er habe sie behalten, um im Falle einer Razzia Polizisten damit in die Flucht zu schlagen, aber in Wahrheit hatte er das alte Ding wohl schlichtweg unter seinem Bett vergessen. Eine Schachtel Patronen befand sich außerdem in der Tasche, wobei Ash keine Wette darauf abgeschlossen hätte, wie viele nach all den Jahren noch funktionstüchtig waren.
    Sie erreichten die Auffahrt zur A7 und reihten sich in die frühe heur de pointe ein. Südlich von Lyon beruhigte sich der Verkehr und Parker beschleunigte bis auf hundertdreißig Stundenkilometer, die Höchstgeschwindigkeit auf Frankreichs Autobahnen. Solange der Alkohol in seinem Blut nicht vollständig abgebaut war, konnten sie es sich nicht leisten, in eine Kontrolle zu geraten. Ein Filmstar, der mit Promille und einer abgesägten Schrotflinte zu seinem entfremdeten Vater fuhr, war vermutlich genau das, woran Polizisten und Prominentenjäger ihre Freude gehabt hätten.
    Seit ihrem Aufbruch hatten sie nur das Nötigste gesprochen, kein Wort über das, was in der Nacht geschehen war. Doch nach den ersten Meilen auf der Autobahn brach Parker das Schweigen.
    »Du hättest dortbleiben sollen«, sagte er. »Bei Lucien und den anderen.«
    »Schon möglich.«
    »Warum hast du’s nicht getan?«
    »Wär dir das lieber gewesen?«
    Er zögerte mit einer Antwort, ehe er sagte: »Ist ja nicht so,

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