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Asche und Phönix

Asche und Phönix

Titel: Asche und Phönix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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kannte ohnehin nur die verklärte Version, eben das, was den Leuten nach all den Jahren in Erinnerung geblieben war. Abgehalfterte Stars, die in Nostalgieshows auftraten. Parodien in Sitcoms, selbst schon angestaubte Wiederholungen. Erwähnungen bei den Simpsons und in South Park .
    »Damals ist mein Vater Libatique begegnet«, fuhr Parker fort. »Am 6. Dezember 1969. Es gibt einen Film darüber.«
    »Über deinen Vater und Libatique?«
    »Über den Tag und den Ort, an dem sie sich begegnet sind. Damals gab es ein riesiges Open-Air-Festival auf dem Altamont Speedway in Nordkalifornien. Es sollte ein zweites Woodstock werden, dreißigtausend Zuschauer, mehrere Bands, als Höhepunkt ein Konzert der Rolling Stones. Als Ordner und Security haben sie die Hell’s Angels angeheuert.«
    »Die Rocker-Gang?«
    Parker nickte. »Für die fürstliche Summe von fünfhundert Dollar, zahlbar in eisgekühltem Bier. Im Ernst, das war der Deal. Es gibt verschiedene Versionen von dem, was dann passiert ist. Als die Stones nach Sonnenuntergang auf die Bühne kamen, herrschte unter den Zuschauern längst Chaos. Die Hell’s Angels waren betrunken, viele Leute im Publikum auf LSD, es hatte schon die ersten Verletzten gegeben – dann wurde es richtig schlimm und irgendwann wollte das Publikum die Bühne stürmen. Ein Dokumentarfilmteam hat die Kameras mitten in den ganzen Trubel gehalten. Berühmt geworden ist Altamont durch den Mord, der dort geschah – einer der Hell’s Angels hat einen Zuschauer erstochen, einen jungen Schwarzen, Meredith Hunter. Die einen sagen, es gab einen rassistischen Hintergrund, die anderen, Hunter habe den Rocker provoziert. Aber den Film gibt’s auf DVD, und da ist auch der Mord zu sehen.«
    Parker hielt inne, überholte einen Lastwagen und fuhr zurück auf die rechte Spur. Ash blickte immer wieder in vorbeifahrende Wagen und hielt Ausschau nach Guignols Gargoylegesicht, nach der gebogenen Nase, dem spitzen Kinn. Aber in dem Mercedes, der sie gerade überholte, saß nur ein greises Paar und blickte leichenstarr auf die Straße.
    »Und bei diesem Konzert ist dein Vater Libatique über den Weg gelaufen?«
    »Dad war damals knapp zwanzig und er tat dort, was alle taten – hörte Musik, trank Bier, nahm Drogen. Irgendwann tauchte dieser Typ neben ihm auf, älter als er und in einem feinen Anzug. Als wäre er von einem anderen Stern mitten in dieses Hippiegetümmel gefallen. Er sagte, er habe meinen Vater erkannt, weil er einige seiner Ausstellungen besucht habe. So sind sie miteinander ins Gespräch gekommen – das war noch am Nachmittag, bevor alles außer Rand und Band geriet. Libatique behauptete, er wäre so eine Art Mäzen, der Erfolg versprechende Künstler unterstützt und dafür sorgt, dass sie groß rauskommen. Wirklich groß. Er hatte wohl etwas an sich … Ich meine, jeder da hätte ankommen und all das behaupten können. Aber mein Vater schwört, er habe nicht eine Sekunde daran gezweifelt. Jedenfalls haben er und Libatique noch an Ort und Stelle ein Abkommen getroffen.«
    Ash dachte an Guignols Fratze und den Treffer mit der Schrotflinte, der jeden anderen ins Krankenhaus oder auf den Friedhof befördert hätte. »Ein Pakt mit dem Teufel«, murmelte sie.
    »Mit einem Teufel. Oder Dämon. Was weiß ich. Vielleicht haben wir einfach nur keinen besseren Namen dafür. Du darfst ihn dir nicht vorstellen wie« – er suchte nach Worten – »nicht wie Tim Curry in Legende . Nicht so ein rotes Monster mit Hörnern und spitzen Zähnen und diesem ganzen Kram. Aber ich hab Libatique auch nur ein einziges Mal gesehen. Und das auch nur im Film.«
    »Ihr habt ihn gefilmt?«
    »Nicht wir. Aber er ist in diesem Film über Altamont zu sehen, Gimme Shelter . Dad hat ihn mir gezeigt. Kurz vor dem Mord sind sie beide für einen Moment im Bild, eine ziemlich junge, ziemlich haarige Version meines Vaters und neben ihm dieser Mann. Ein Blinzeln, und man hat sie verpasst. Aber wenn man weiß, wonach man suchen muss, dann sind sie da, alle beide, ganz am Rand des Bildes und nur für eine halbe Sekunde, als gerade die Hölle losbricht. Sie sehen zu und rühren keinen Finger«
    »Du willst doch nicht sagen, dass dieser Mord –«
    »– von Libatique geplant war. Ein Blutopfer, um den Pakt zu besiegeln.« Er schaute kurz zu ihr hinüber. »Dad schwört, dass es so war. Libatique hat ihm erklärt, so ein Abkommen müsse immer mit Blut besiegelt werden. Mit ein paar Tropfen deines eigenen als eine Art

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