Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Asche und Phönix

Asche und Phönix

Titel: Asche und Phönix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
Drittel der Halle durchquert, als vor ihr eine Tür aufgestoßen wurde. Helligkeit fächerte über den Boden jenseits des letzten Karussells. Von ihrer Position aus konnte sie den Eingang nicht sehen, und darüber war sie heilfroh, weil sie damit auch für denjenigen, der die Tür geöffnet hatte, unsichtbar sein musste. Leise stieg sie auf das Karussell zu ihrer Rechten und ging hinter einem Einhorn in Deckung.
    Die Schritte, die sich ihr näherten, klangen zu schnell, fast wie Sprünge – Guignols Insektengang. Schon huschte er an ihr vorüber, blieb nach wenigen Metern stehen und schaute sich um. Sie konnte nur seinen Kopf erkennen, der Rest war verdeckt, aber der Anblick seiner Fratze im Profil ließ sie frösteln.
    Sie beugte sich ein wenig zur Seite. Jetzt konnte sie das Messer in seiner Hand erkennen, dieselbe riesige Klinge, mit der er die Männer am Tor getötet hatte.
    Er wusste, dass sie hier war. Vielleicht konnte er sie wittern. Oder war da noch etwas anderes, das ihn anlockte? Ihr Herzschlag? Ihr Atmen?
    Einen Moment später setzte er sich wieder in Bewegung, jetzt langsamer, und ließ dabei seinen Blick über den Figurenreigen auf den Karussells wandern. Vanillegeruch breitete sich in der Halle aus. Dann verließ er Ashs Sichtfeld und näherte sich der Tür zum Wohnzimmer.
    Vorsichtig löste sie sich von der Einhornfigur und bewegte sich rückwärts. Auf dem Holzboden des Karussells verursachten ihre Schuhsohlen gedämpfte Laute, aber da Guignol nach ihren ersten beiden Schritten nicht zurückkehrte, wurde sie mutiger und schlich zum Rand der Plattform. Als sie stehen blieb, bemerkte sie, dass sie ihn nicht mehr hören konnte. Vielleicht hatte er innegehalten.
    Sie musste an einem weiteren Karussell vorbei, um die hintere Tür zu erreichen, durch die er den Raum betreten hatte. Es war nicht weit, nur ein paar Meter.
    Behutsam setzte sie erst einen Fuß vom Karussell auf den Steinboden, dann den anderen. Sie hatte den Durchgang zum Wohnzimmer vorhin hinter sich geschlossen; sie hätte hören müssen, wenn er ihn wieder geöffnet hätte. Er war noch immer in der Halle. Nur wo?
    Mit einem lauten Schnappen wurde der Kippschalter an der Tür umgelegt und der Raum erwachte zum Leben. Punktstrahler an der Decke warfen gleißende Flecken auf die Gänge. Zugleich flammten Glühbirnen und Lichterketten an den Karussells auf. Aus Lautsprechern ertönte Jahrmarktsmusik. Ash stand inmitten eines der Lichtkreise, in strahlende Helligkeit gebadet. Über den Lärm hinweg konnte sie nicht hören, ob Guignol schon auf dem Weg zu ihr war.
    Zwei Meter bis zum letzten Karussell. Acht, vielleicht zehn bis zur Tür. Gehetzt blickte sie über die Schulter, riss sich den Rucksack herunter und glitt auf dem Bauch unter die Bodenscheibe des Karussels. Zwischen Plattform und Fliesen war gerade genug Platz für sie. Staub wirbelte auf und kratzte in ihrer Nase. Sie robbte vorwärts, schob Rucksack und Gewehr vor sich her und stieß immer wieder gegen das Holz über ihr. Vom anderen Ende des Karussells bis zur Tür waren es nur noch wenige Schritte.
    Röhrend sprang ein Motor an, dann ertönte ein Knirschen. Über ihr begann sich die Plattform zu drehen, die raue Holzunterseite schmirgelte über ihre Schulter. Ash musste sich noch flacher an den Boden pressen, damit ihr nicht die Haut von den Knochen geschürft wurde. Sehr langsam schob sie sich weiter, den Kopf seitlich gedreht und die Wange auf den Boden gedrückt.
    Die Vorstellung, dass er gerade hinter ihr war, vielleicht unter das Karussell blickte, ließ Panik in ihr aufsteigen. Um ein Haar hätte sie sich blindlings unter der Plattform hervorgerollt und wäre auf gut Glück zur Tür gerannt.
    Dass sie es nicht tat, rettete ihr das Leben.
    Seine Füße und Unterschenkel tauchten vor ihr auf, sie sah ihn durch den Spalt zwischen Karussell und Boden. Er ging keine drei Meter neben ihr, blieb stehen, drehte sich um. Er schien zu wissen, dass sie sich in der Halle aufhielt. Ahnte er, wie nah er ihr war?
    Das Drehorgelgetöse übertönte alle Geräusche, als Ash den Rucksack beiseiteschob und die Schrotflinte auf seine Beine richtete. In der Enge unter dem rotierenden Karussell, auf den Bauch gepresst und mit verdrehtem Kopf spannte sie die beiden Hähne. Falls sie ihn nicht mit mindestens einem Schuss erwischte, würde er ihr keine Gelegenheit geben, die Waffe nachzuladen.
    Sie zielte, legte den Finger an den Abzug – und er ging weiter, entfernte sich vom Karussell. Aber sie

Weitere Kostenlose Bücher