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Asche und Phönix

Asche und Phönix

Titel: Asche und Phönix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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wie alle seine Regungen wirkte sie unecht und forciert. »Es wurden Schulden gemacht. Ich fordere meinen Lohn ein. Das ist alles. Und der Sohn bürgt für den Vater.«
    Das Klebeband um Royden Cales Oberkörper knisterte, als er versuchte, sich Parker zuzuwenden. »Libatique ernährt sich vom Ruhm anderer. Er ist wie ein Vampir, nur dass er kein Blut trinkt, sondern Popularität. Er hat die Macht, aus einem Niemand einen Star zu machen. Menschen wie wir können uns Erfolg vielleicht kaufen , durch Werbung, durch Manipulation der Medien. Aber Libatique vergibt Erfolg. Und er will im Austausch dafür etwas von uns.«
    »Dein Vater«, sagte Libatique, »hat sich wie alle anderen vor ihm verpflichtet, seinen Ruhm zu vergrößern. Jahr für Jahr ein wenig mehr. Niemals nachzulassen, immer nach Größerem zu streben.«
    »Damit du ihn abzapfen kannst wie ein Parasit!«, entgegnete Royden Cale.
    Libatique holte mit seinem Stock aus und bohrte ihn mit einem dumpfen Knall durch eines der Gemälde. »Du hast das von Anfang an gewusst, mein Freund. Deine Empörung ist fehl am Platz.«
    »Ich habe mich daran gehalten, verdammt!«
    Libatique zog den Stock aus der Leinwand wie einen Degen aus dem Leichnam eines Gegners. »Es ist etwas anderes, ob man Berühmtheit erlangt, indem man unsterbliche Kunstwerke erschafft – oder ob man als schwerreicher Medienboss mit einem Kamerateam auf Berge steigt oder im Heißluftballon um die Welt fliegt.« Libatique kam herüber und setzte die Spitze des Stocks auf Cales Herz. »Du verstehst das nicht, aber der Geschmack solchen Ruhmes ist ein anderer. Ein trockenes Stück Brot mag ebenso satt machen wie das beste Fünf-Gänge-Menü, aber wer tauscht schon freiwillig Dinner gegen Zwieback?« Er drückte den Stock fester gegen Cales Brustkorb. »Du vielleicht? Wenn ich mich hier so umsehe, dann kann ich das kaum glauben. Ein Genussmensch wie du, Royden, vom Schicksal verwöhnt – wenn wir von dieser einen dummen Sache absehen.« Er warf Parker einen Seitenblick zu. »Eine wirklich dumme Sache.« Damit zog er den Stock zurück und blieb zwischen seinen beiden Gefangenen stehen.
    Cale senkte den Kopf, als er bemerkte, dass Parker ihn ansah. »Berühmtheit war nur der eine Teil des Deals …«
    »Und der andere?« Parker wollte sarkastisch klingen, aber als ihm die Worte über die Lippen kamen, hörte er sich sehr ernst an: »Deine Seele?«
    Libatique schüttelte den Kopf. »Was soll das sein, eine Seele? Zeig sie mir und ich sage dir, ob sie meine Mühe wert ist.«
    Parker blickte von ihm zu Guignol, aber die Kreatur stand immer noch da, jetzt wieder mit offenen Augen, und blickte durchs Fenster den Berg hinauf. Sonnenlicht beschien sein Gesicht und brachte eine Träne auf seiner Wange zum Glitzern.
    »Nein«, sagte Libatique, »dein Vater hat etwas besessen, das ihn viel wertvoller machte. Er hatte Talent ! Aus ihm hätte der größte Maler des zwanzigsten Jahrhunderts werden können. Seine Werke waren exquisit! Nicht so etwas wie das hier.« Er führte einen blitzschnellen Schlag mit dem Stock und schlitzte eine weitere Leinwand auf. »Nicht diese verzweifelten Hilferufe, nicht dieses würdelose Betteln! Sondern große, wahrhaftige, alles umfassende Kunst!«
    Hilferufe?, dachte Parker und ließ seinen Blick über die zahllosen Mondsicheln wandern. Dann sah er durchs Fenster zum Berg hinauf. Die Sonne verschwand hinter den Erhebungen im Westen, weite Teile der Hänge lagen schon im Schatten, aber die Ruine auf dem Gipfel wurde noch immer beschienen. Sie leuchtete hinter den Bäumen wie ein Goldbarren.
    Guignols Träne war an seinem krummsäbelartigen Kinn entlanggeronnen und hing als Tropfen vorn an der knochigen Spitze. Eine Bewegung, und sie würde auf seine blutbefleckte Brust fallen. Aber er wirkte noch immer abwesend, wie hypnotisiert.
    Parker verstand nicht, worauf Libatique hinauswollte. Zu viele Andeutungen, zu viel unklares Gerede. Dieses Ding, das sich als grauhaariger Mann tarnte, mit seinem weißen Anzug und seinem Gehstock, machte Menschen wie seinen Vater erfolgreich, um sich von ihrer Berühmtheit zu ernähren. So etwas zu akzeptieren fiel nur noch halb so schwer, hatte man erst einmal einem Wesen wie Guignol gegenübergestanden. Doch was hatte es mit den Monden auf sich? Mit dem Haus auf dem Berg? Und welche Rolle hatte Chimena bei alldem gespielt?
    Und dann dieses Gefasel über Kunst und Talent.
    Aber vielleicht war es auch gar nicht mehr wichtig, dass Parker alles

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