Asche und Phönix
einfach: Das Mädchen stirbt, wenn du nicht einwilligst. Du und ich, wir werden einen Blutpakt schließen, ganz wie in den alten Zeiten. Jemand wird sterben müssen, aber das wird nicht die Kleine sein. Was hältst du davon?«
Cale starrte Libatique aus seinem zerstörten Gesicht an, sagte aber nichts mehr. Er hatte verstanden. Genau wie Parker.
Doch Libatique war noch nicht fertig damit, seinen Widersacher zu demütigen. Erneut trat er vor Cale, setzte ihm die Spitze des Gehstocks auf die Brust und sagte: » Ich bin nicht das Böse. Aber du hast es dir ins Haus geholt, als du dich an diese Andere gewandt hast. Wir beide hatten eine klare Abmachung, aber du musstest ja zu ihr gehen! Herrje, das ist, als würdest du dir Geld von einer seriösen Bank leihen, um danach den schäbigsten Pfandleiher der Stadt um einen Kredit anzubetteln, damit du es wieder zurückzahlen kannst. Das ist so« – er rümpfte die Nase – »so stillos.«
Parker versuchte zu verstehen, wovon Libatique da redete, aber er konnte nur an Ash denken. Daran, ob wirklich sie es war, die von Guignol durchs Haus gehetzt wurde.
Libatique berauschte sich am Klang seiner eigenen Stimme. »Was waren das für große Zeiten, damals in Paris, als die Kunst noch gewertschätzt wurde. Damals war ich satt, auf eine gute Weise. Und ich dachte, irgendwann komme ich doch noch ans Ziel, erschaffe selbst etwas Neues, nicht aus totem Fleisch wie Guignol und seinesgleichen, sondern eine eigene, wunderbare Schöpfung! Aber dann ging es mit Europa bergab und eine Weile sah es so aus, als entstünde drüben in Amerika eine neue Bewegung, etwas, von dem zu kosten sich lohnte.« Mit der Stockspitze hob er Cales Kinn, bis er ihm in die Augen blicken konnte. »Als wir uns dort begegnet sind, habe ich an dich geglaubt, Royden. Wirklich geglaubt , dass du größer sein könntest als all die anderen in den Generationen zuvor. Größer als Monet und Magritte und Max Ernst und der Rest. Aber du hast mich verraten, so wie du jetzt deinen Sohn verrätst. Du hättest nicht zu ihr gehen dürfen, Royden. Nicht zu Hekate!«
»Sie war die Einzige, die mich vor dir schützen konnte.«
»Sie?« Libatique fuhr herum und zeigte mit dem Stock auf Parker. »Nein, das hat er getan! Ohne es zu ahnen, hat er jahrelang dein elendes Leben gerettet.«
Parker schüttelte verständnislos den Kopf, sah an Libatique vorbei und bemerkte, dass das Mondhaus vom anbrechenden Abend verschlungen worden war. Die letzten Strahlen, die eben noch das Gebäude beschienen hatten, waren mit der Sonne im Westen verschwunden.
»Er hat es dir nie gesagt, nicht wahr?« Libatique trat wieder vor Parker und beugte sich herab, bis sie auf einer Augenhöhe waren. »Du bist so viel mehr als nur der Sohn deines Vaters. All die Jahre warst du der Schlüssel zu seinem Überleben – bis du dich vor zwei Tagen von ihm losgesagt hast.«
»Fick dich«, sagte Parker.
Was auch immer Libatique war – Dämon, Teufel oder Gott –, Beleidigungen gehörten nicht zu den Waffen, mit denen man ihm beikommen konnte. »Du bist sein Talisman gewesen, solange du auf seiner Seite warst«, sagte er. »Aber du hast den Bann gebrochen, als du vor die Welt getreten bist und verkündet hast, was du wirklich von deinem Vater hältst.« Er zuckte die Achseln, wieder eine dieser menschlichen Gesten, die an ihm falsch und widernatürlich wirkten. »Du musst es nicht verstehen. Aber vielleicht wirst du mir glauben, wenn ich dir erzähle, was deiner Mutter zugestoßen ist.«
Cale spuckte Blut in Libatiques Richtung und verfehlte ihn kläglich.
»Willst du wissen, was damals geschehen ist, kurz nach deiner Geburt?«
Parker presste die Lippen aufeinander.
»Willst du wissen, was Royden ihr angetan hat?«
37.
Die schlurfenden Schritte näherten sich aus dem Foyer, und mit ihnen wehte Gestank heran. Jetzt war es nicht mehr Vanille, sondern etwas anderes. Guignol stank erbärmlich nach Fäulnis und Schmutz und dem Blut seiner Opfer.
Ash hielt die Pistole mit ausgestreckten Armen, während sie ihn neben dem Leichnam des Wachmanns erwartete. Sie würde das Feuer auf ihren Gegner eröffnen, sobald er in den Korridor bog. Doch er blieb hinter der Ecke stehen, und sie konnte ihn riechen und hören und meinte sogar, ihn zu spüren wie ein heraufziehendes Unwetter.
Und so standen sie da, Ash mit pochendem Herzschlag und Schweißperlen auf der Stirn, die schwere Waffe im Anschlag – und Guignol hinter seiner Deckung, lauernd, wartend, aber
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