Asche und Phönix
hinaus«, sagte Godfrey. »Aber was, wenn er Ihnen einen Schritt voraus ist? Wenn er genau weiß, was Sie als Nächstes tun? Wenn er dieselben Überlegungen bezüglich dieses Nineangel anstellt wie Sie?«
Ash zog auf dem Stuhl die Knie an und schlug ihre Arme darum. »Dann können wir nur hoffen, dass er nicht weiß, wo Nineangel untergetaucht ist.«
» Und Sie dort erwartet«, ergänzte Godfrey.
Parker nickte. »Dann muss ich Nineangel vor ihm finden.«
»Wir«, sagte Ash. » Wir müssen ihn finden.«
Er warf ihr ein Lächeln zu und war froh, als sie es erwiderte. Auch das mochte er an ihr: Nicht jede Auseinandersetzung musste gleich zu einem Gemetzel werden. Sie ähnelte so gar nicht den Mädchen, mit denen er bislang zusammen gewesen war. Sobald die ihn erst einmal für sich gehabt hatten, hatten sie ihn festhalten und formen wollen. Genau wie sein Vater.
»Noch was«, sagte sie. »Wenn dieser Nineangel wirklich einen Weg kennt, um mit Libatique fertig zu werden, warum hat er ihn dann nicht deinem Vater verraten?«
»Vielleicht hätte er das. Aber mein Vater wollte Libatique nie wirklich loswerden. Er hatte viel zu große Angst davor, dass mit Libatique auch sein Erfolg enden würde. Mir ist das scheißegal. Wenn mich morgen kein Mensch mehr kennt, bin ich glücklicher als jemals zuvor.«
Godfrey trank einen Schluck Wasser und sagte: »Nineangel war doch der Anführer eines Kults, richtig?«
»Ja.«
»Nun, falls er nach Südfrankreich gekommen und hier nicht auf der Stelle ein neuer Mensch geworden ist … wenn er noch eine Zeit lang weitergemacht hat … dann wüsste ich jemanden, der ihm begegnet sein könnte.«
Die beiden sahen ihn erwartungsvoll an. Ash setzte ein Bein wieder auf den Boden, zog das andere aber noch fester an ihren Oberkörper und legte ihr Kinn aufs Knie.
»Eine gewisse Elodie war bis in die Siebzigerjahre berühmt-berüchtigt dafür, sich mit all den Sektierern und Kultisten an der Küste abzugeben. Eine Art Okkultismus-Groupie, könnte man sagen. Keine schwarze Messe, keine Sonnwendfeier auf irgendeinem Hügel, die sie ausgelassen hätte. Ich kannte früher eine Menge alternder Hippies und gestrandeter Sinnsucher, und viele dieser Leute … nun, sie alle redeten gern von den alten Zeiten. Und von Elodie.«
Parker musterte ihn mit gerunzelter Stirn. »Und wo finden wir sie?«
»Ich kann Ihnen nur sagen, wo Sie es versuchen könnten. Mit etwas Glück ist sie noch dort. Wahrscheinlich ist sie ein wenig gesetzter geworden und hat sich auf andere Aktivitäten verlegt.« Ein Lächeln spielte um seine Mundwinkel. »Wir werden alle nicht jünger.«
»Wo, Godfrey?«, fragte Parker ungeduldig.
»Ich werd’s Ihnen verraten – aber nicht bevor Sie geschlafen haben. In Ihrem Zustand lasse ich Sie heute Nacht nicht ans Steuer.«
Parker wollte empört widersprechen, doch Ashs Blick verriet, dass sie Godfrey zustimmte. Es würde ihnen kaum weiterhelfen, wenn Parker den Wagen auf der Küstenstraße über die nächstbeste Klippe lenkte. Und er war hundemüde, ob er das wahrhaben wollte oder nicht.
»Aber Libatique –«, begann er.
»Falls Libatique weiß, wo Nineangel zu finden ist«, sagte sie, »hat er einen Vorsprung von mehreren Stunden. Dann holen wir ihn ohnehin nicht mehr ein. Und falls nicht, haben wir vielleicht eine Spur, die er noch nicht kennt.«
Alles in Parker sträubte sich dagegen, Zeit mit Ausruhen zu verschwenden. Aber dann war da wieder Ashs Lächeln. Jedes Mal wenn er sie ansah, war er von neuem überrascht, wie hübsch sie war.
»Okay«, sagte er schließlich. Und an Godfrey gewandt fügte er hinzu: »Gleich morgen früh?«
»Nach dem Frühstück.«
Ash schloss die Augen, während ihr Kopf noch immer auf ihrem Knie ruhte. Sie klang schläfrig, als sie sagte: »Elodie ist ein schöner Name.«
Godfreys Schmunzeln war selbst unter seinem dichten Vollbart zu erkennen. »Sie war ein sehr schönes Mädchen.«
45.
Schaumkronen wanderten über die See landeinwärts. Die Morgensonne brach sich auf tiefblauen Wellenrücken. Einige Segelboote neigten sich gefährlich zum Festland, als die Sturmböen immer stärker wurden. Der Himmel aber blieb wolkenlos, die Sicht glasklar bis zum Horizont.
Parker steuerte den Mercedes über die Uferstraße Richtung Nizza. Bei Tageslicht erkannte Ash, dass die Felsen der Esterelküste eine rote Färbung hatten. Das Gestein erinnerte sie an die Fotografien der Marssonden. Falls es tatsächlich einmal Ozeane auf dem Roten Planeten
Weitere Kostenlose Bücher