Asche und Schwert
Gerichtszimmer, das Gesicht von einem Schleier verhüllt. Sittsam und wortlos verbeugte sie sich vor dem Magistrat, bevor sie an das Podium herantrat.
»Mein Dank«, sagte Cicero, »gilt dieser edlen, aufrechten Dame aus Neapel, die vor uns getreten ist, um uns Bericht zu erstatten über die Ereignisse jener schicksalhaften Nacht. Euer Name?«
»Successa«, sagte die verschleierte Frau. Nur ihre schwar zen, funkelnden Augen waren über der dunklen Seide zu sehen, die ihr Gesicht bedeckte.
»Aus welchem Haus?«
»Aus keinem Haus. Jedenfalls aus keinem anderen als dem des Geflügelten Priapus«, sagte sie, womit sie ein Sym bol benannte, das gut zu ihrem pompejianischen Akzent passte.
»Dame Successa, wenn ich es recht verstehe, wart Ihr anwesend bei jenem Gastmahl, das Pelorus in der Nacht seiner Ermordung veranstaltet hat«, sagte Cicero.
»Das war ich.«
»In welcher Eigenschaft?«
»Wenn der Magistrat meine Offenheit gestattet: Ich wurde gebeten, als Begleiterin aufzutreten.«
»Seien wir nicht zu verschämt. In Liebesdingen, meint Ihr?«
»Ja, das meine ich. Meine Gunst wird auÃerordentlich geschätzt. Wurde auÃerordentlich geschätzt.«
Batiatus hob zustimmend die Augenbrauen.
»Von den Neapolitanern?«, fragte Cicero.
»Von Pelorus selbst. Er verkündete, niemand in ganz Campanien sei so gut zu vögeln wie ich, und ich sollte dafür sorgen, dass sein Ehrengast, Gaius Verres, der im Begriff stand, Neapel zu verlassen, ebenfalls dieser Meinung sein würde.«
»Und, wenn ich mir diese Frage erlauben darf, Dame Successa, wie war Pelorus zur Ãberzeugung gekommen, dass âºniemand in ganz Campanien so gut zu vögeln seiâ¹ wie Ihr?«
»Er war ein regelmäÃiger Gast.«
»Im â wie hieà es noch gleich â im Haus zum Geflügelten Priapus?«
»Ja.«
»War er intim mit Euch?«
»Ja, bei vielen Gelegenheiten.«
»Und mit den anderen Damen des Hauses?«
»Mit allen.«
»Und mit den Männern Eures Hauses?«
»Nie.«
»Warum?«
»Pelorus war nicht an Schwänzen interessiert.«
»Ich muss protestieren!«, rief Verres. »Cicero beruft sich auf Dinge, die nur vom Hörensagen bekannt sind. Und er stellt das Wort einer Hure gegen das eines römischen Bürgers!«
»Dazu möchte ich anmerken«, sagte Cicero, »dass die Dame Successa anwesend und in der Lage ist auszusagen. Sie ist weder bequemerweise tot, noch wunderbarerweise fähig, ihre Wünsche mit aufgeschlitzter Kehle zu äuÃern.«
»Sie hat bereits offiziell erklärt, dass sie ihre Möse für ein paar Silberstücke verscherbelt!«, sagte Verres. »Wie billig mag da ihr Mund zu haben sein?«
»Ich kann nicht behaupten, dass ich mich mit der Preisgestaltung in neapolitanischen Bordellen auskennen würde«, erwiderte Cicero trocken.
»Ich will damit sagen«, zischte Verres mit zusammengebissenen Zähnen, »dass die Aussage dieser Frau zweifellos für eine bestimmte Summe zu bekommen ist. Es ist schlieÃlich nicht besonders wahrscheinlich, dass sie noch viel Geld verdienen wird, indem sie sich auf den Rücken legt.«
Cicero wartete höflich, bis Verresâ Worte im Gerichtszimmer verklungen waren.
»Tatsächlich, Verres?«, fragte er schlieÃlich. »Aus welchem Grund sollte es sich denn so verhalten?«
Verres schluckte nervös. Dann wandte er sich gefasst an den Magistrat.
»Es wird so langsam Zeit, dass diese Farce ihr Ende findet«, sagte er.
»Ich bin trotzdem daran interessiert, mir Ciceros abschlieÃende Argumente anzuhören«, entgegnete der Magistrat.
»Ganz wie Ihr wünscht«, sagte Cicero. »Ich wollte die Dame Successa bitten, ihren Schleier abzunehmen.«
»Früher habe ich noch viel mehr als nur den Schleier abgenommen«, sagte Successa, und ihrer Stimme war deutlich anzuhören, dass sie lächelte.
Sie hob die Hand, um einen kleinen Haken aus einer Ãse an ihrer Kopfbedeckung zu ziehen, wordurch der Schleier langsam und elegant nach unten sank. Sie tat es mit dem Ge schick einer Frau, die weiÃ, wie sie ihren Körper auf verlockende Weise entblöÃen konnte, doch jetzte erregte sie da mit eher Entsetzen als Entzücken.
»Berichtet mir, Dame Successa«, sagte Cicero, »was Ihr Gaius Verres schuldet.«
»Er hat mir ein
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