Asche und Schwert
seines bevorzugten Wagenlenkers. Und, bei den Göttern, wie kann das sein? Wir beide rufen denselben Namen! Gemeinsam freuen wir uns über seinen Sieg, gemeinsam bedauern wir seine Niederlage. Wenn er siegt, sehen wir uns bei den Buchmachern wieder. Wenn unser Wagen scheitert, zerreiÃen wir gleichzeitig unsere Wettscheine und beklagen einer wie der andere die Grausamkeit des Schicksals. Wie es auch immer kommen mag, wir beide teilen ohne jeden Zweifel ein und dieselbe Erfahrung.«
»Das klingt fast, als habe das Schicksal selbst beschlossen, dass sich beide begegnen!«, hauchte Ilithyia und drängte sich enger an Verresâ Arm. Ihre gekräuselte Nase tippte leicht gegen sein Ohr.
»Und je weiter der Tag voranschreitet, umso mehr Zeit werden wir in der Gegenwart des anderen verbringen«, fuhr Verres fort. »Vielleicht sind uns die Götter wohlgesinnt. Vielleicht ist es wirklich unser Schicksal, wie Ihr sagt. Und wenn das so sein sollte, dann wäre es vielleicht sinnvoll, dem Schicksal auf die Sprünge zu helfen, indem wir ein weiteres Treffen ins Auge fassen.«
»In den Gassen hinter dem Zirkus?«, schlug Ilithyia vor. »An leere Fässer gelehnt?«
»Ilithyia!«, rief Lucretia entsetzt.
»Im Tempel!«, erwiderte Verres fast ebenso entschieden. »Ich schlage vor, dass wir uns am folgenden Tag im Heiligtum der Venus oder zum Fest des Merkur treffen. Was auch immer am günstigsten sein mag, um die Dame wieder in meine Nähe zu führen.«
»Führt ein solches Vorgehen Euch häufig zum Erfolg, Gaius Verres?«, fragte Lucretia.
»Nun, das sollte ich wohl lieber nicht verraten«, erwiderte Verres lächelnd. Er griff hinter Ilithyias Ohr und strich eine Strähne zurecht, die sich scheinbar gelöst hatte, wobei er ihr Ohr streichelte. Unwillkürlich durchlief sie ein Schauer der Erregung, und beide lachten.
Der Aufseher drängte Varro in ein fast dunkles Zimmer. Man hatte die Läden geschlossen, um das Eindringen der Nachtluft zu verhindern. Kerzen und Lampen verbreiteten nur wenig Licht. Das halbe Dutzend kleine, schwache Flammen war über den ganzen Raum verteilt. Im Halbdunkel erkannte Varro mehrere plüschige Kissen und zahlreiche Kisten, als ziehe der Bewohner des Zimmers gerade ein oder aus.
Erst als sich der Aufseher zurückzog und die Tür hinter sich schloss, erkannte Varro, dass sich bereits jemand im Zimmer befand.
»Du hast heute gut gekämpft«, sagte eine Stimme.
»Timarchides?«
»Du hast mich dominus zu nennen, vergiss das nicht!«
»Ich entschuldige mich, dominus .«
»Du hast versucht, mich im Kampf zu unterwerfen. Es schien fast, als wolltet ihr â du und deine Gefährten, die anderen Gladiatoren â den Tod über eure Gegner bringen.«
»Wiederum entschuldige ich mich, dominus .«
»Dafür brauchst du dich nicht zu entschuldigen. Ihr wart vielleicht ein wenig übereifrig für einen Schaukampf, aber schlieÃlich sollen Gladiatoren ja genau das tun â kämpfen. Kämpfen und sterben.«
Timarchides trat dicht vor Varro.
»Du hast mich wieder auf den Geschmack gebracht, Varro«, sagte er. »Du hast in mir die ferne Erinnerung an meine Tage als Gladiator wiedererweckt. Für einen kurzen Augenblick habe ich die ermüdende Sicherheit der Freiheit vergessen und das tiefe, alles durchdringende Gefühl eines Lebens, das mit dem Schwert geführt wird, erneut empfunden.«
»Ihr habt gut gekämpft, dominus« , sagte Varro.
»Natürlich habe ich gut gekämpft«, erklärte Timarchides pikiert. »Ich habe genauso gekämpft, wie ich für meine Freiheit gekämpft habe. Die ich schlieÃlich auch erringen konnte. Aber du, Varro ⦠Wie ich höre, hast du deine Freiheit aufgegeben.«
»Das tat ich, dominus .«
»Um eine Schuld zu begleichen. Deine letzte Handlung als freier Bürger bestand darin, dich einem neuen Herrn zu unterwerfen. Während man Sklaven üblicherweise ihre Freiheit gegen allen Widerstand entreiÃt, hast du sie aus eigenem Willen aufgegeben.«
»Ich hatte keine Wahl, dominus . Ich brauchte das Geld, um â«
»Das interessiert mich nicht. Mich interessiert nur, dass du ein Römer bist, der seinen Willen verloren hat.«
»Dominus?«
»Leg es ab.«
»Dominus?«
»Leg dein Lendentuch ab.«
Varro atmete schwer aus und befolgte den
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