Asche und Schwert
die Kammer einen Augenblick lang von hellem Licht erleuchtet wurde und die Sonnenstrahlen auf die Wände fielen, die von uraltem schwarzem Blut bedeckt waren.
Fast genauso schnell, wie das Licht erschienen war, wurde es sogleich wieder matter, als zahllose Kadaver in die Tiefe regneten. Löwen, Menschen, Kaninchen und ein einzelnes Pferd rutschten über die hintere Kante des Leichenkarrens und fielen in die Kammer, wo sie wie Getreidesäcke auf dem Gitterboden aufschlugen. Ein zerbeulter, verbogener Schild des Hauses Pelorus, der eigentlich nicht hierhergehörte, klatschte gegen totes Fleisch. Die Leiche eines Gladiators schlug gegen eine Wand und sackte auf dem Boden in sich zusammen. Rotes Blut bedeckte schwarze afrikanische Haut und verklebtes geflochtenes Haar, ein Arm war auf der Höhe des Ellbogens durchtrennt. Gleich darauf wurde der fehlende Unterarm wie ein nachträglicher Gedanke in die Tiefe geworfen; man konnte noch das Brandzeichen darauf erkennen, das aus dem schlichten Buchstaben »B« bestand.
Das Licht kehrte erst wieder, als der letzte Kadaver auf den Boden gefallen war, doch gleich darauf wurde es wiederum schwächer, als die Luke sich schloss und Sonnenstrahlen nur noch durch winzige Löcher nach unten drangen.
Der Sklavenjunge lauschte dem Blut, das in Dutzenden Rinnsalen durch das Gitter in die Abflussrinne tropfte, die sich direkt darunter befand. Müde hob er eine riesige Greifzange und packte den ersten Löwen, der noch immer die deutlich sichtbare Wunde trug, die der Speer des Thrakers ihm zugefügt hatte. Mit mehreren ruckartigen Bewegungen zog der Junge das tote Tier an eine freie Stelle und nahm dann ein Schlachterbeil von der Wand.
»Warte!«, sagte eine Stimme von der Tür her. Charon, der Fährmann des Styx, hob im Halbdunkel die Hände und zog sich die Schädelmaske vom Gesicht. Zum Vorschein kam der verschrumpelte Kopf eines alten Mannes.
Der Sklave wartete, das erhobene Schlachterbeil in der Hand.
»Löwenfelle sind einiges wert, mein Junge«, sagte der Mann. »Zerhacke das Tier nicht. Häute die Löwen später.«
Wortlos nickte der Junge und griff erneut nach der Greif zange. Der Mann, der den Charon gespielt hatte, hängte seine lange, dunkle Robe an einen Haken neben die Maske. Die Hände auf die Hüften gelegt, verschaffte er sich einen Ãberblick über den Inhalt der Kammer und die langwierige Aufgabe, die vor ihnen lag.
»Ich möchte, dass dieser Raum morgen sauber ist«, sagte er. »Die Löwen gehäutet und zerlegt â die Zähne gesondert herausgelöst, wenn du das schaffst. Bereite die besten Stücke des Pferdes vor. Wir werden heute Nacht die Hunde füttern.«
Irgendwo erhob sich vom Boden ein leises Stöhnen. Der Junge starrte auf ein zerschmettertes, kaum noch erkennbares Etwas, das einmal ein Mensch gewesen war.
»Der hier lebt noch«, sagte er. Der Junge war noch im Stimmbruch, und sein Akzent verriet, das er von einer der Küsten Sardiniens stammte.
»Es ist immer dasselbe«, seufzte Charon und nahm ein langes Messer von der Wand.
»Bitte«, flüsterte die Stimme vom Boden. »Helft mir.«
»Was sollen wir tun?«, fragte der Junge aus Sardinien.
Charon musterte den geschundenen Körper des Mannes, dessen Gesicht von den Zähnen eines Löwen gezeichnet war. Offensichtlich hatte er ein Auge verloren; einer seiner Arme hing schlaff und blutüberströmt neben seinem Torso herab, und seine Brust war von Krallen aufgerissen worden, deren lange Spuren bis hinab auf die Knochen reichten. Noch während er atmete, rann Blut aus seinen Wunden und tropfte in zähflüssigen, immer dünneren Fäden durch das Gitter.
Charon reichte dem Sklaven das Messer.
»Träumst du immer noch davon, irgendwann einmal als Gladiatorzu kämpfen?«, fragte er.
Der Junge nickte hoffnungsvoll.
»Dann soll das der Beginn deiner Ausbildung sein«, sagte Charon. »Du wirst jetzt zum ersten Mal einen Menschen töten.«
»Nein«, flehte die schwache Stimme vom Boden. »Wartet. Habt Gnade ⦠Gnade â¦Â«
»Genau das ist Gnade«, sagte Charon tonlos. »Also, mein Junge, beeil dich.«
Der Junge trat vor und beugte sich über den Verwundeten. Er zog das Messer über die Kehle des Mannes, und ein herausschieÃender Blutstrahl bespritzte sie beide. Die Kammer wurde von einem gequälten
Weitere Kostenlose Bücher