Asche zu Asche
Dinge, die ich ihm sagen wollte, aber es hatte keinen Sinn. Ich hatte gewusst, dass Nathan diese Sache nicht kommentarlos akzeptieren würde. Cyrus war ein Ungeheuer gewesen. Das Ausmaß an Grausamkeit, das er Nathan zugefügt hatte, war größer, als er es überhaupt ahnte.
Aber ich liebte Nathan. Alles zwischen uns schien gerade gut zu werden, oder jedenfalls relativ gut.
„Du hast es vermasselt, Carrie.“ Er las meine Gedanken ebenso problemlos, wie ich Cyrus’ Gedanken in meinem Traum gehört hatte.
Nathan deutete mit dem Daumen in den Flur. „Sobald du fertig bist … er ist da drin.“
Ich sah zu meiner alten Schlafzimmertür. „Ist er wach?“
„Er ist schon eine Weile wach gewesen. Ich habe ihn jetzt festgebunden. Er war außer sich.“ Nathans Ton legte nahe, dass er es sich nicht unbedingt ausgesucht hatte, sich mit meinen Problemen zu beschäftigen.
„Danke.“ Ich machte ein paar unsichere Schritte und zwang mich, die Schwäche in meinen Beinen zu ignorieren. Meine Kleidung machte Geräusche, als ich mich bewegte, denn sie war steif vor getrocknetem Blut. Ich wusste, dass Nathan hinter mir war, und ich nahm mir fest vor, mir nichts anmerken zu lassen, wenn ich Cyrus sehen würde. Doch alsich mein altes Zimmer betrat, hatte ich meinen Vorsatz vergessen.
Irgendwann nachts hatte Nathan mein altes Bett aus der Abstellkammer im Laden nach oben geschafft. Weil die neuen Bücherregale so viel Platz einnahmen, stand das Bett mitten im Raum. Außer einem kleinen Fleck neben der Tür, war der ganze Raum jetzt vollgestellt. Es war wie eine Krypta, in der Cyrus lag. Er war wach und mit Seilen und Klebeband am Bett festgeklebt wie Hannibal Lecter auf seinem kleinen Wägelchen. Es fehlte nur noch der Maulkorb.
Für einen Moment sah ich Nathan mit offenem Mund an und eilte dann zu meinem Zögling.
Ich wusste, dass sich junge Mütter häufig von ihren Kindern distanzierten, nachdem sie die ganze Qual der Wehen hinter sich gebracht hatten. Ich glaubte immer, dass mit diesen Frauen etwas nicht stimmen könnte, wenn sie sich nicht sofort mit ihren Babys verbunden fühlten. Aber jetzt konnte ich es ihnen definitiv nachempfinden, während ich mich neben das Bett kniete. Alle Gefühle, die ich zuvor für Cyrus, John Doe, meinem Schöpfer, einem verwundeten, verletzten menschlichen Wesen, gehabt hatte, waren verschwunden.
Obwohl wir durch die Blutsbande miteinander verbunden waren, war er mir fremd. Als er mich mit seinen kalten blauen Augen ansah, erzitterte ich.
„Warum?“, brachte er mit rauer Stimme hervor. Er musste durstig sein.
Anstatt auf Cyrus’ Vorwurf einzugehen, drehte ich mich zu Nathan um. „Du hast ihm nichts zu essen gegeben?“
„Du hast Glück, dass ich ihm nicht einen Holzpflock ins Herz gerammt habe.“
„Das ist wahr.“ Cyrus sah mich an. Seine Stimme klang sowohl vertraut als auch schrecklich fremd. „Er hat ungefährzwanzig Minuten lang in der Tür gestanden und mit sich gerungen.“
Er ist immer noch der Gleiche. Er ist wie früher. Die Worte, die ich im Traum vernommen hatte, vermischten sich mit dem, was ich im wachen Zustand erlebte.
„Was hast du erwartet, Carrie?“ Nathan drehte sich angewidert von mir ab. „Ich hole ihm ein bisschen Blut. Geh nicht zu nah an ihn heran, falls er sich losmacht.“
„Ich verstehe das nicht“, sagte ich zaghaft, als ich mich von seinem Bett entfernte.
Nathan warnte mich noch einmal. „Geh nicht so dicht an ihn heran.“
Nicht so dicht herangehen? Es war kein Platz, um nicht dicht heranzugehen. Aber seine Warnung war überflüssig. Cyrus versuchte nicht, seine Fesseln zu lösen. Er lag vollkommen friedlich da und starrte mich hasserfüllt an.
Ich hielt das Schweigen nicht länger aus. „Hör mal, Cyrus, ich …“
„Spar dir deine egoistischen Entschuldigungen.“ Sein Ton war sachlich.
Überrascht und verletzt wischte ich mir einige Tränen aus dem Gesicht. „Wenn ich es nicht getan hätte, wärest du gestorben.“
„Das ist mir auch schon in den Sinn gekommen.“ Er sah an die Decke. „Wenn ich gestorben wäre, dann hätte ich wieder bei ihr sein dürfen. Ich denke, ich hatte versucht, dir das klarzumachen. Außerdem erinnere ich mich noch sehr gut daran, dass ich versucht habe, dich abzuwehren.“
Mir drehte sich der Magen um, als ich an seine letzten Worte dachte. „Ich musste es tun. Nicht für mich. Nur du weißt, wo dein Vater ist.“ Das klang ebenso hohl wie das, was ich in meinem Traum gesagt hatte. War das
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