Aschebraut (German Edition)
Pokrovsky wäre ein Multimillionär mit Beziehungen zur Russenmafia und hätte zwanzig Jahre wegen organisierter Kriminalität im Gefängnis zugebracht. »Er hat sein Geld bestimmt irgendwohin verschoben – denn das tun sie alle«, hatte er hinzugefügt und ihr das alte Polizeifoto gezeigt, auf dem ein schlanker Mann mit feingeschnittenem Gesicht, einem schmalen Mund und zornblitzenden Augen, die sich in die Linse brannten, abgebildet war.
Er lebte in demselben von Efeu erwürgten Haus wie Hildy Tannenbaum, aber trotzdem hatte Brenna angenommen, seine Wohnung wäre deutlich teurer eingerichtet – hochmodern und minimalistisch oder in dem schwülstigen, barocken Stil, wie er vielen reichen Russen zu gefallen schien. Außerdem hatte sie Personal erwartet, bullige »Berater« und vielleicht dazu noch eine junge, vollbusige Ehefrau. Aber nein. Mit den knarzenden alten Möbeln und den dicken Vorhängen vor allen Fenstern war die Wohnung ein verstaubtes Loch – und Pokrovsky war dort ganz allein.
Außerdem fand Brenna, dass er in den dreißig Jahren seit der Aufnahme des Polizeifotos geradezu erschreckend alt geworden war. Seine olivfarbene Haut hatte die Textur von zusammengeknülltem Pergament, und er bewegte sich so langsam, dass sie das Bedürfnis unterdrücken musste, ihn zu führen, damit er von der Stelle kam. Seine Augen aber waren unverändert – klar und hart und geradezu gespenstisch leer. Hildy hatte sie zu ihm hinaufgebracht, und er hatte ihr umgehend aufgemacht. Doch nachdem Hildy sie Pokrovsky vorgestellt hatte und selbst wieder gegangen war, hatte er sie beide reglos angestarrt, und Brenna hatte fast damit gerechnet, dass er wie eine Kobra vorschießen und sie mit seinen Giftzähnen traktieren würde, ehe sie auch nur die Möglichkeit bekäme, ihm zu sagen, was der Grund für ihr Erscheinen war. Auch ohne Bo und Diddley konnte sie mit einem Mal verstehen, weshalb Robin Tannenbaum alle Spuren verwischt und sein Aussehen mit Hilfe eines Barts verändert hatte, ehe er ohne Handy und Kreditkarten – die jemandem hätten verraten können, wo er steckte – von der Bildfläche verschwunden war.
»Sie wollen wissen, warum Robin Tannenbaum sich Geld von mir geliehen hat«, sagte Pokrovsky jetzt.
Morasco sah ihn an. »Genau.«
»Und das nennen Sie eine einfache Frage.«
»Das ist es ja wohl auch«, erwiderte Brenna. »Leichter geht’s ja wohl nicht mehr.«
»Sie wollen mich aufs Glatteis führen. Sie versuchen mich dazu zu bringen, zuzugeben, dass der Mann mir Geld schuldet.« Sein Blick huschte von Brenna zu Morasco und wieder zurück. »Ich weiß nicht, wer diese beiden Männer in Ihrem Wagen waren. Ich habe sie noch nie gesehen, und woher sie meinen Namen kannten, weiß ich auch nicht. Mein Anwalt kann beweisen, dass ich keinerlei Kenntnis von den Dingen hatte, die …«
»Hören Sie«, fiel Brenna ihm ins Wort. »Wir wollen Sie nicht aufs Glatteis führen. Diese beiden Kerle sind mir vollkommen egal, und Nick ist für diese Entführung gar nicht zuständig – er hilft mir nur bei meinen eigenen Ermittlungen.«
Er starrte Brenna an, und sie starrte zurück. Diese Augen sind am falschen Platz, ging es ihr durch den Kopf. Zwei Glasscherben in einem schwachen, traurigen Gesicht.
»Ich weiß nicht, wie ich mich deutlicher ausdrücken soll, Mr Pokrovsky«, sagte sie. »Wie wäre es damit: Sie könnten mir nicht egaler sein.«
Er hob die Brauen.
»Ich meine es ernst«, versicherte sie. »Sie könnten fünfzehn Leichen unter der Fensterbank da drüben gestapelt haben, und es wäre mir total egal.«
Er nickte in Richtung von Morasco. »Aber ihn würde das sicher interessieren.«
»Ja, das würde es«, stimmte der Detective unumwunden zu.
»Dann werden wir einfach nicht nachsehen, ob dort irgendwas gestapelt ist.«
Pokrovsky atmete tief durch und ließ die Schultern hängen. »Warum interessieren Sie sich für Robin?«, wandte er sich wieder Brenna zu. »Oder für RJ, wie er sich inzwischen nennt.«
»Ich suche ihn.«
»Das hatte ich mir schon gedacht. Warum?«
Sie dachte an Lula Belle. Sollte sie es wagen, diesem Typen von ihr zu erzählen? Würde er verstehen, wenn sie ihm erklärte, wer die Frau vielleicht in Wahrheit war? »Weil seine Mutter ihn vermisst.«
Pokrovsky seufzte. Gleichzeitig huschte ein leises Lächeln über sein Gesicht, und während eines flüchtigen Moments wurden die Glasscherbenaugen warm. »Dann hat Hildy Sie also engagiert.«
»Ja.«
Er schüttelte langsam den
Weitere Kostenlose Bücher