Ascheherz
gerne gesehen. Er zeigte sie mir, denn er sammelte alle Arten von Faltern und getrocknete Blüten. Aber die Schmetterlinge waren tot, blasse, kleine Wesen unter Glas. Ich dachte noch, wie traurig es ist, dass sie nicht mehr fliegen. Indigo handelte noch einen Tag heraus, um mir seine ganze Sammlung zu zeigen. Obwohl er Fieber hatte, stand er auf. Einen weiteren Tag lang brachte er mir das Tanzen bei, und dann schenkte ich ihm einen weiteren Tag, damit er mich einige Lieder lehrte. Ich … konnte nicht widerstehen. Er lachte mit mir. Das Dasein als Mensch war so anders als unseres. So einsam und jämmerlich abgeschnitten von allen anderen. Und doch … so erstaunlich! Und ich ließ ihn noch einen Tag und noch einen gewähren und er erholte sich von dem Fieber. Ich lernte die Menschen kennen, ich … mochte sie. Und irgendwann
begann mir das Leben als Mensch zu gefallen. Indigo lehrte mich, so zu sein wie sie. Ich war die Herrin seiner Burg. Wir reisten zu seinem Landsitz und …«
Während sie erzählte, war alles wieder ganz nah: die Reisen, das Elfenbeinbett, das er ihr schnitzen ließ. Der Duft von Orangen und Winterblüten und jede Nacht ein Fest bis in die Morgenstunden. Sie legte das Schwarz ab und trug Kleider in Rot und leuchtendem Blau. Am besten aber gefiel ihr das Weiß. Sie war süchtig nach Helligkeit und Farben, die sie trank wie den Wein, den Indigo ihr in goldverzierten Gläsern reichte. Er liebte sie für jede Stunde, die sie ihm schenkte. Er lag ihr zu Füßen und tat alles, um sie zu zerstreuen. Sie war sein Tod und zweifelte keinen Tag an ihrer Macht über ihn.
Bis … sie eines Tages in ihrem Elfenbeinbett erwachte. Soldaten packten sie und zerrten an ihr. Sie wehrte sich und stieß eine Karaffe von einem Tisch. Klirrend zerschellte sie auf dem Steinboden. Brennende Fesseln drückten in ihre Handgelenke. Und sie begriff, dass Indigo sie hintergangen hatte. Es war ein Wintertag, als er sie aus einem blaugoldenen Haus herausführen und zum Richtplatz vor eine Burg bringen ließ. Sie trug ihr weißes Kleid. Sie war geschwächt, verwirrt und erfüllt von einer inneren Glut, die in ihrem Kopf wütete wie ein Phönix, der immer wieder verbrannte und von Neuem aus der Asche stieg. Und vor ihr stand ihr Henker mit dem Schwert.
»Er … hat mir die Flügel genommen«, wimmerte sie. »Mit dem Schwert.«
Es hatte einen falschen Klang, als sie das sagte. Aber diesmal fragte Lady Tod nicht weiter.
»Und mit den Flügeln nahm er dir deine Kraft und deine Erinnerungen«, ergänzte sie nur in ihrem nüchternen Tonfall. »Du
wurdest verwundbar und schwach wie ein Mensch. Was noch, Tjamad?«
»Eine … Kiste. Meine Knie liegen an meinen Wangen, ich kann nicht atmen und mein Herz scheint nicht länger zu schlagen. Es ist dunkel und ich denke, ich bin tot. Und«, sie schauderte, »Knarren von Holz und Wasserrauschen. Ein schwimmender Sarg. Er … hat mich mit einem Schiff über das Meer gebracht. Dann … Geruch von nassem Stein, Mörtel. Dunkelheit, Stille. Und traumloser Schlaf. Bis alles bebte und Sonnenlicht mich weckte. Ich … liege eingemauert in Telis. Und ich weiß nichts.«
Die Lady ließ sie los und erhob sich. Und Summer glitt zu Boden wie eine Marionette. Sie wollte sich hochstemmen, aber ihre Arme gehorchten ihr nicht mehr. Mosaiksteine drückten sich kühl an ihrer Wange ab.
»Dann wissen wir jetzt, wer die Fäden in diesem Spiel zieht«, wandte sich Lady Mar an die Umstehenden. »Wir haben einen Unsterblichen, der seine Zorya um seinen Tod betrogen hat. Und offenbar weiß er zu viel über uns und hat eine Möglichkeit gefunden, uns zu schaden.«
»Lord Teremes selbst?«, fragte eine Zorya. »Er hat sicher seinen Namen geändert.«
»Ich glaube nicht«, erwiderte Lady Mar. »Er ist klug, er hatte Jahrhunderte Zeit, zu lernen und seine Strategie zu entwickeln. Ich denke, er ist eher jemand, der sich im Hintergrund hält.«
Summer hörte die Worte wie durch eine Wand aus Watte. Nur langsam begriff sie das ganze Ausmaß der Katastrophe. Der Krieg wurde nicht zwischen Lords und einer Raublady geführt. Die Lords waren nur Verbündete in einem Kampf gegen den Tod selbst. Und der Mann, dessen Tod hätte Summer sein müssen, war es, der die Zorya bedrohte. Der Blutmann?, fuhr es ihr durch
den Kopf. Ist er… Indigo? Sie hätte etwas sagen müssen, auch das letzte Geheimnis gestehen, doch die wispernde Stimme in ihrem Inneren verbot ihr, auch nur ein Wort zu sagen. Warum?, dachte sie. Warum schütze
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