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Ascheherz

Ascheherz

Titel: Ascheherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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auch bei Kaufleuten oder sogar in den Häusern der Ärmsten. Manchmal begleiten sie dabei nur zehn von uns, manchmal hundert.«
    »Wo leben wir sonst?«
    »Wo wir wollen. Überall und nirgends. Auf der Goldenen Barke. Auf der ganzen Welt. Zwischen den Zeiten. In den Sekunden und Minuten. Ich kann es dir nicht sagen, denn ich war seit jeher mit Lady Mar in der Welt der Menschen. So wie du auch.« Sie beugte sich über Summer und umarmte sie. »Ich bin so froh, dass sie dir verziehen hat. Ich hatte Angst um dich, weißt du?«

    Summer schloss die Augen. Und du hättest noch viel mehr Angst, wenn du wüsstest, dass ich immer noch ein Geheimnis hüte .

    In den ersten Fiebertagen träumte sie stets nur von den Flügelmänteln der anderen, ganz so als würde die zweite Wirklichkeit durch ihre Lider schimmern. Doch in dieser Nacht fand sie sich mitten …
    … im Schnee wieder. Er war so tief, dass ihr Kleid bis zu den Knien nass war und der Saum bereits wieder gefroren. Sie lag halb im fedrigen Weiß begraben und spürte den Schnee zwischen ihren Schulterblättern und ihr rasendes Herz. Die Atemlosigkeit des Lachens und des Kampfes, den sie eben hinter sich gebracht hatte. Ihre Lippen waren kühl, und der Mund, der sich nun ungestüm auf ihren presste, schien so heiß, als würden die Lippen glühen. Der Kuss war rau und leidenschaftlich, die Hand, die auf ihrer Hüfte lag, so warm, dass ihre Haut an dieser Stelle pochte. Als sie nachgab und ihre Lippen öffnete, wurde sein Kuss zärtlicher. Nur mühsam widerstand sie der Versuchung, sich ganz fallen zu lassen. Sie schlug die Augen auf, befreite sich übermütig von seinen Armen, schob den Mann, der halb auf ihr, halb neben ihr im Schnee lag, von sich. Der Himmel über ihnen war ultramarinblaues Glas, klirrend kalt, wie kurz vor dem Zerspringen. Und vor diesem Blau: sein Gesicht. Ihr Entführer mit dem Lilienzeichen. Der Blutmann. Nein, er sah zwar genauso aus und war ebenso jung wie der Blutmann, vielleicht siebzehn oder achtzehn. Aber noch war er nicht der Henker aus ihrem Traum. Noch war er einfach nur
der Mann, der sie liebte und der sich eher die Hand abgehackt hätte, als ihr ein Leid anzutun. Und sie betrachtete ihn mit derselben Zärtlichkeit wie er sie. Sein dunkelbraunes Haar, in dem der Schnee hing, war viel länger und verstärkte die Aura von Wildheit, die ihn umgab. Die umschatteten Augen wirkten vor diesem Himmel mehr grau als grün. Zum ersten Mal sah sie ihn wirklich lachen. Es war ein schönes, leicht schiefes Lachen. Und es gab seinen Zügen etwas Weiches und Raues zugleich. Als sie von ihm abrückte, stieß ihre Hand gegen kaltes Metall. Neben ihr im Schnee lag der Degen. Sie hatten gefochten, aber natürlich hatten sie es auch heute nicht lange ausgehalten, im Kampf auf verschiedenen Seiten zu stehen. Nachdem er Summer entwaffnet hatte, riss sie ihn zu Boden. Fast wäre es ihr gelungen, ihn auf den Rücken zu werfen.
    »Was ist?«, fragte er »Gibst du jetzt endlich auf?«
    Sie schüttelte den Kopf und er stürzte sich wieder auf sie, versuchte sie im Schnee niederzuringen, um einen weiteren Kuss zu rauben. Und da war seine Hand, die unter ihr Kleid fand und ihr über Taille und Rücken strich. Und seine Lippen, die nach Schnee schmeckten und nach etwas Dunklem, Glühendem, nach Begehren und nach dem Taumel ihrer Nächte. Sie schlang die Arme um seinen Hals und seine Brust, drängte sich an ihn und spürte, wie bei ihrem Kuss sein Herz schneller schlug. Irgendwo in der Nähe rauschte das Meer und …
    Sie verharrten beide mitten im Kuss. Lauschten.
    … ein Ruf. Pferdegetrappel.
    Beide fuhren sie hoch. »Er darf uns nicht sehen«, flüsterte er ihr zu. Hastig rappelten sie sich auf, kletterten aus der Schneekuhle und rannten Hand in Hand zwischen den blühenden Winterbäumen hindurch auf ein weißes Pferd zu. Eine Möwe kreiste
über ihnen und sah neugierig auf das fliehende Paar hinunter.
    Ihr Geliebter griff nach den Zügeln, doch als sie nach dem Steigbügel hangelte und das Fell berührte, brach der Schimmel erschrocken aus und riss sich los. Und sie konnten nur noch dem fliehenden weißen Pferd nachschauen, dessen Hufe den Schnee aufwirbelten.
    Er fluchte. Jetzt war er blass geworden. Das Spiel war vorbei.
    »Dort entlang! Hinter dem Blumenhaus trennen wir uns. Du nimmst das Fenster!«
    Sie nickte nur, und schon rannten sie wieder durch den Schnee. Als sie einen gehetzten Blick über die Schulter warf, sah sie ihre Fußspuren: Sohlenabdrücke

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