Ascheherz
irgendeinem Maschinenraum?«
Er streckte ihr die Hand hin, um ihr aufzuhelfen, aber sie ignorierte ihn und sprang auf die Beine. Das Misstrauen in seiner Miene zeigte ihr nur zu deutlich, dass er sich mit ihrer vagen Erklärung ganz bestimmt nicht zufrieden geben würde. Aber bevor sie sich etwas einfallen lassen konnte, sagte er: »Lady Mar will dich sehen. Im achten Haus. Sofort.«
Unter der Maske konnte sie spüren, wie sie blass wurde.
»Sofort? Aber so kann ich nicht zu ihr. Ich muss mich umziehen. Ich beeile mich …«
»Dafür hast du jetzt keine Zeit mehr«, fuhr Anzej ihr ungeduldig dazwischen. »Sie wartet ohnehin schon. Und eines kann ich dir sagen, sie wartet nicht gerne.«
Das achte Hochhaus war der westlichste, dem Land zugewandte Teil der Zitadelle. Irritierenderweise hatten hier sogar die Verbindungsgänge durchsichtige Böden. Im obersten Stockwerk blieb Anzej vor einer Metalltür stehen und drehte sich zu Summer um. »Es geht um Indigo«, sagte er nur. Summers Herz setzte einen Schlag lang aus und begann dann zu rasen. Weiß sie es vielleicht längst?
Anzej drückte die schwere Klinke in Form einer Haifinne nach unten. Summer versuchte ein letztes Mal vergeblich, sich das Kleid glatt zu streichen und das Haar zu ordnen, dann nahm sie Haltung an und folgte ihm über die Schwelle.
Sie hatte so etwas wie einen Thronsaal erwartet, aber der oberste Raum des Turmes war ein achteckiger Sitzungssaal mit samtgepolsterten Stühlen und einem hufeisenförmigen Tisch. Darauf stand ein Modell des Nordlands. Fähnchen und Farben markierten die Kampflinien, Lager und eroberten Gebiete. Lady Mar und ein Dutzend Offiziere standen mit Ferngläsern an der Glasfront und betrachteten die Rauchsäulen, die sich in der Ferne in den rosenfarbenen Morgenhimmel schraubten.
Niemand drehte sich nach Anzej und Summer um. »Komm her!«, sagte Lady Mar nur, ohne ihr Fernglas abzusetzen. »Und ihr könnt gehen. Auch du, Anzej. Warte vor der Tür.«
Anzej warf Summer einen ermutigenden Blick zu und ging zusammen mit den Menschen hinaus. Es war gespenstisch, dass auch ihr Schritt lautlos war. Der schwarze Teppich verschluckte alle Geräusche. Die Tür schloss sich mit einem gedämpften Schnappen.
Dann war Summer mit der Todesfrau allein.
Lady Mar wandte sich zu Summer um und hielt ihr das Fernglas hin.
»Hier! Schau dir Lord Teremes’ Heerlager an. Südlich von der Kampflinie.«
Sie klang barsch, der Ärger über Summers Verspätung war ihr nur zu deutlich anzumerken. Summer trat mit weichen Knien zu ihr und nahm das Fernglas an sich. Morgenrot färbte die zerklüfteten Ufer. Durch das Fernglas sah sie erst hügeliges Land, dann, viel zu nah, schwarze Rauchsäulen. Und schließlich erahnte sie weiter im Süden ein Feld voller Zelte.
»Das ist der Anfang«, erklärte Lady Mar. »Bisher waren es nur Grenzgefechte, aber es ist Lord Teremes tatsächlich gelungen, die Truppen meiner Lords zurückzudrängen. Jetzt hat er seine Feste verlassen und rückt nach Nordosten vor. Er will die berühmteste aller Festungen für sich haben. Nur, weil ich hier bin.« Das klang amüsiert.
Summer klammerte sich an das Fernglas und hoffte, die Lady würde ihre Nervosität nicht spüren. Sie fühlte den Blick aus den grauen Augen und wurde unter ihrer Maske rot vor Scham und Furcht. Was dachte die Lady wohl über eine Zorya, die es wagte, mit wirrem Haar und zerknittertem, staubigem Kleid bei ihr aufzutauchen? Und wenn sie wüsste, bei wem ich gerade war …
Jetzt hatte sie das Gefühl, zu wenig Luft zu bekommen.
»Ohne Maske würdest du besser sehen«, bemerkte Lady Mar spitz.
»Ich … sehe genug«, antwortete Summer. Und möglichst beiläufig setzte sie hinzu: »Was will Lord Teremes mit diesem Krieg erreichen?«
»Weißt du das wirklich nicht? Lord Teremes ist nur eine Marionette. So wie die ganzen Söldner aus dem Süden und die Stadtherren von Maymara, Anakand und den anderen Städten, die für diesen Krieg bezahlen.« Die Pause, in der die Lady sie wieder
von der Seite betrachtete, dehnte sich ins Unerträgliche. Summer zuckte zusammen, als der Befehl kam.
»Schau mich an, Tjamad!«
Zögernd nahm sie das Fernglas herunter und wandte sich zu der Todesfrau um. Die ausdruckslose Eisenmaske war matt, nur in den Augen glänzte etwas Drohendes, Dunkles auf.
»Nur du kennst den Mann, der hinter all dem steht«, sagte Lady Mar. »Offenbar ist dein Indigo ehrgeizig. Er ist unsterblich geworden und hat Blut geleckt. Er bildet sich
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