Ascheherz
Luft durch die Nase aus, als wäre ihm ihre Antwort ein richtiges Lachen nicht wert. »Tja, dann wissen wir ja jetzt beide wieder, wo wir stehen.«
Nun, den Sarkasmus hatte er auch im Gefängnis nicht verloren. Summer wollte schon antworten, als er den Kopf brüsk von ihr abwandte. Mondlicht fiel auf sein Gesicht. Und sie erkannte, was sein abweisender Tonfall wirklich zu bedeuten hatte. Er konnte
es nicht ertragen, sie anzusehen. Und sie konnte sich denken, warum. Vor wenigen Tagen hatte er noch ein Mädchen mit kurzem Haar und Matrosenjacke vor den Soldaten der Lady gewarnt. Nun stand vor ihm die Frau, die er vor Jahrhunderten geliebt und dann gehasst hatte. Eine Lady mit langem Haar. Vermutlich bemerkt er nicht einmal, dass mein Kleid heute schwarz ist und nicht weiß .
Oder sah er sie ebenfalls gemeinsam im Schnee? Lachend, eng umschlungen?
Ihr Kuss am Wasserfall war wieder ganz nah. Und das Verrückte ist, ich will ihn immer noch umarmen.
Vorsichtig machte sie einen Schritt zur Seite, noch einen, näherte sich ihm in einem Bogen, bis sie beide vor dem Fenster standen. Diesmal hielt er ihrem Blick stand. Und zum ersten Mal gestand sie sich ein, dass er ihr gefiel. So wie er heute war - mit seiner ganzen Wildheit und sogar mit seinem Zorn und dem schmerzlichen Zug, der um seinen Mund lag. Die Sehnsucht, ihm nahe zu sein und ihn zu berühren, erblühte so jäh in ihr, dass sie es war, die nun wegsehen musste.
»Du bist Indigo«, sagte sie.
»Vielleicht ja, vielleicht nein«, kam die Antwort mit harter Stimme. »Ich wäre ziemlich dumm, es dir zu verraten.«
Seine Feindseligkeit fühlte sich wie eine Ohrfeige an.
»Ich habe dich nicht reingelegt. Und ich wusste nicht, dass die anderen Zorya mich suchen. Nicht einmal, dass ich zu ihnen gehöre.«
Er hob das Kinn etwas höher und blickte auf sie herab. »Zorya«, sagte er kühl. »Interessant. Nach so langer Zeit erfahre ich, wie du dich wirklich nennst.«
»Tja, dann kannst du mir ja auch verraten, ob du der Mann bist, der mich betrogen hat. Und der mich töten wollte.«
»Der Mann, der dich betrogen hat?«, brauste er auf. »Hörst du dir eigentlich selbst zu? Was hast du mit meinem Herzen gemacht? Hast du es verschlungen wie ein Dämon?«
»Ich weiß es nicht!«, schnappte sie. »Schon möglich. Vielleicht. Wie soll ich es herausfinden, wenn du mir nichts von dir … von uns erzählst?«
»Was ist ein Gefangener wert, der alles erzählt? Vielleicht fragst du in Herzensdingen besser deinen blonden Freund?«
Summer biss sich auf die Unterlippe. Jetzt war sie wieder so weit, ihn für seine Arroganz am liebsten schlagen zu wollen. Nicht einmal Anzej hatte es geschafft, sie so schnell in Wut zu versetzen.
Die Luft zwischen ihnen schien aus kochendem Wasser zu bestehen. Und plötzlich gab es nur noch zwei Wege. Der erste führte aus dem Gefängnis hinaus. Der zweite weiter in einen Streit hinein, der sie wie eine Strömung voneinander wegtreiben würde, bis sie sich endgültig verloren.
Doch Summer zögerte. Vielleicht war es nur eine Täuschung, eine Spiegelung des Mondlichts in seinen Augen. Aber in seinem Blick war etwas, das sie wie ein Funke berührte. Ein Ausdruck, der seine Feindseligkeit Lügen strafte. Und Summer vergaß ihren Zorn und wählte den dritten Weg.
Sie ließ die Taschenlampe zu Boden fallen und trat auf ihn zu. Vorsichtig, um seine Wunde nicht zu berühren, umarmte sie ihn.
»Hör mir einfach nur zu, ohne mich anzuschreien. Ich habe von uns geträumt. Ich erinnere mich. Es war keine Lüge. Ich habe dich wirklich geliebt!«
Es war seltsam, keinen Herzschlag zu spüren, und dennoch fühlte sie, dass sich etwas in ihm veränderte. Er schluckte schwer, und der Hass, der eben noch in ihm vibriert hatte, schlug in etwas anderes um, das sie nicht benennen konnte. Sie wünschte sich
so sehr, dass er sie ebenfalls umarmte, doch er stand nur da und rührte sich nicht.
»Warum soll ich dir glauben?«, fragte er mit heiserer Stimme.
»Weil es wahr ist!«, antwortete sie mit einem Anflug von Ärger. »Ich hatte es vergessen, aber ich habe immer nach deinen Küssen gesucht, nach dir!«
»Bist du sicher, dass ich es war?«
»Wer sonst sollte es gewesen sein?«, rief sie empört aus.
»Der Mann, in dessen Armen du gelegen hast.«
»Es waren deine Arme! Ich bin sicher, dass du es warst, den ich liebte. Ich war glücklich mit dir !«
Und so besitzergreifend, dass ich dein Herz für mich haben wollte.
Sie schloss die Augen und hielt ihn
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