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Ascheherz

Ascheherz

Titel: Ascheherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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das Schloss. Als sich der Schlüssel endlich mit einem Knirschen drehte, wurde sie mit einem Rostregen mitten ins Gesicht belohnt. Angewidert spuckte sie Rost und Metallsplitter aus und stemmte sich mit der Schulter gegen die Klappe. Sie war erstaunlich schwer. Summer fluchte und biss die Zähne zusammen und endlich ächzte ein verborgenes Scharnier. Die Klappe erwies sich als Steinplatte eines Bodens in einer Art - Nische? Wenn sie geschlossen war, würde wohl niemand darunter einen Schacht vermuten. Summer klappte den Stein zur Seite und kletterte auf Händen und Knien aus dem Schacht. Es war, als würde man aus der Unterwelt in eine schwebende Welt aus Mondlicht und eisfrische Luft eintauchen. Es duftete! Nach Meer und dahinziehenden, regenschweren Wolken. Summer setzte sich auf die Fersen und konnte einige Augenblicke nur Atem holen und staunen. Das waren keine düsteren Kerkerzimmer. Viel eher ein Palast. Obwohl neue, grob gemauerte Trennwände das riesige Rondell in Segmente unterteilten, konnte man noch deutlich erkennen, dass sich die Prunkräume früher wie die Blüten einer gewaltigen Blume um eine frei stehende Wendeltreppe gruppiert hatten. Die Fenster waren hohe Triforen mit spitz auslaufenden Giebeln. Im oberen Teil schmückten sie durchbrochene Ornamente aus Stein, die noch die alte Pracht von königlichen Kammern erahnen ließen. Und an den gewölbten Decken fing Summers Taschenlampe ein goldrotes Mosaikmuster ein. Ein Windstoß strich am Fenster vorbei. Und Summer lief ein
Schauer über den Rücken. Es war tatsächlich ein Flüstern und Heulen. Als würden die Gespenster der Gefangenen immer noch um das Gemäuer streichen. Einen Moment lang schnürte ihr die Angst die Kehle zu, als sie sich ausmalte, dass der Blutmann gar nicht mehr hier war, sondern längst aus dem Fenster gestürzt war bei dem Versuch, hinauszuklettern. Sie sprang auf und rannte von Tür zu Tür. Endlich stieß sie auf eine Metalltür, die sich mit einem der Schlüssel öffnen ließ. Und entdeckte die Tür mit dem weißen Kreuz direkt gegenüber. Ihre Kehle war mit einem Mal so trocken, dass das Schlucken wehtat. Einen Augenblick überlegte sie noch, ob sie es wirklich wagen konnte, zu ihm in die Kammer zu gehen. Ob sie nicht Gefahr lief, von ihm sofort aus dem Fenster gestoßen zu werden, aber dann erinnerte sie sich an den Traum von Schnee und seinem Lachen und vergaß, dass sie vernünftig und vorsichtig sein wollte. Hastig zerrte sie sich den Rock aus dem Gürtel, dann stieß sie den Schlüssel in das Schloss, drehte ihn so grob um, dass es knirschte. Und war überrascht, dass die schwere Tür sich ohne einen Laut und ohne Widerstand öffnete.

    Es war paradox, aber im ersten Moment war sie einfach nur unendlich glücklich, ihn zu sehen. Er war nicht aus dem Fenster gestürzt. Er saß auf dem breiten Fensterbrett, mit angezogenen Beinen. Und gefährlich nah am Sog der Windwirbel, die schon an seiner Jacke zupften und ihm das Haar über die Stirn wehten. Bewegungslos wie eine Statue verharrte er, während Wolken mit leuchtenden Mondrändern hinter ihm vorbeizogen. Früher mochte in diesem Raum einmal das Prunkbett eines Königs gestanden haben, nun aber lagen nur ein Haufen Decken und
Felle auf einer Matratze auf dem Boden. Ein seltsamer Kontrast zu den vergoldeten Mosaikböden. Die Steinornamente im Fenster schnitten das Mondlicht in staubige Streifen. Das matte Licht ließ die Umrisse des Mannes, der in die Ferne sah, wie gezeichnet wirken. Summer hielt den Atem an.
    Wenn ich ihn rufe, verliert er das Gleichgewicht und fällt , dachte sie.
    Oder er stürzt sich auf dich und zahlt dir heim, dass du sein Herz geraubt hast wie ein Adler, der sich über einen Fuchs hermacht , sagte eine weniger mutige Stimme.
    Als hätte er ihre Gedanken gehört, drehte er den Kopf zu ihr. Er zuckte nicht zusammen und verlor auch nicht das Gleichgewicht. Mit einer geschmeidigen Bewegung schwang er die Beine vom Fensterbrett und stellte sich vor das Fenster. Sein Gesicht lag im Mondschatten, sie erkannte nur, dass er einen Verband am Körper trug. Plötzlich fühlte sie sich, als hätte sie Lampenfieber. Sie wollte zu ihm gehen, wagte es aber nicht. Sie wollte sein Gesicht sehen, mit ihm reden, aber sie schien vergessen zu haben, wie man sprach.
    »Wie bist du hier hereingekommen?«, fragte er mit rauer Stimme.
    »Ich habe einen Wärter bestochen.« Und in einem Anfall von Feigheit fügte sie hinzu: »Er … steht vor der Tür.«
    Er stieß die

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