Ascheherz
einen bewaffneten Wachmann bezahlte. Sie verlor fast das Gleichgewicht, als sie um die Ecke
fegte. Ihr Keuchen hallte in der Gasse wider, aber niemand folgte ihnen, zumindest hörte sie keine anderen Schritte. Doch dann schrie Finn leise auf, etwas Hartes (ein Stock?) traf mit einem unschönen Geräusch auf Haut. Summer warf einen Blick über die Schulter. Zwei Schatten rangen miteinander. Finn und jemand, den sie nicht erkennen konnte. Sie erahnte nur, dass er ein Stück größer als Finn war. Und um ein Vielfaches schneller. »Lass … das Mädchen in Ruhe!«, brachte Finn hervor. »Summer, verdammt, lauf!« Dann traf ihn ein Fausthieb. Das Begreifen lähmte Summer. Finn hält den Kerl zurück! Aber er hat es auf mich abgesehen! Und dabei ging es ganz bestimmt nicht um Geld.
Finn stöhnte auf und sackte unter einem weiteren Schlag zusammen. Die schattige Gestalt richtete sich auf. Und glitt geschmeidig wie eine Raubkatze auf Summer zu. Im Mondlicht leuchtete eine Messerklinge auf. Ein silberner, tödlicher Fisch, der durch die Nacht tauchte - genau auf ihre Kehle zu! Endlich gehorchten ihr die Beine. Sie dachte nicht mehr nach, ihr Körper handelte von selbst: Blitzartig warf sie sich zur Seite. Metall streifte ihre Schulter, dann schabte die Klinge über den Stein der Hauswand hinter ihr. Der Geruch von Leder und Branntwein jagte ihr den nächsten Panikschauer über den Körper.
Sie stieß einen Schrei aus und stürmte los. Zwei, drei Sekunden lang glaubte sie einen Vorsprung zu haben. Doch ein schmerzhafter Ruck an ihrer Kopfhaut belehrte sie eines Besseren. Eine Hand krallte sich in ihr Haar. Noch während sie strauchelte, brachte ein Tritt gegen ihre linke Kniekehle sie endgültig zu Fall. Sie hörte nur noch ihren Schrei, kehlig und rau diesmal, aus ihrem tiefsten Inneren kommend, dann schnurrte die Welt zu einem wirbelnden Sog zusammen. Und während sie um sich trat und sich mit Zähnen und Nägeln dagegen wehrte, dass ein Arm
gegen ihre Kehle drückte, schnippte ihr Bewusstsein ohne Vorwarnung davon.
Mitten in das Bild einer anderen Wirklichkeit.
Es war schlimmer als vor wenigen Stunden auf der Bühne, und viel schlimmer als in den Nächten:
Sie war nicht länger in der Gasse in Maymara. Es war Tag. Und sie wand sich nicht auf Straßenpflaster, sondern auf dem halb gefrorenen Boden einer Wiese. Der Richtplatz! Ihre Handgelenke waren gefesselt. Schnee wehte ihr ins Gesicht und schmolz in ihrem Mund. Eiswind ließ ihre Zähne kalt werden. Diesmal berührte die Schneide des Schwertes ihre Kehle. Noch war es ein kleiner Schmerz, als würde die Klinge ihre Haut erst vorsichtig kosten wollen. Der Atem des Blutmanns strömte stoßweise durch zusammengebissene Zähne. Verzweifelt verdrehte sie die Augen, versuchte einen Blick auf das Gesicht zu erhaschen, aber eine (schwankende?) Sonne blendete sie. Doch als sie blinzelte, trafen sich in diesem seltsam matten Streif licht ihre Blicke. Vielleicht hatte sie erwartet, ein Ungeheuer zu sehen, jedenfalls überraschte es sie maßlos, dass er das Gesicht eines Menschen hatte. Allerdings konnte sie ihn nur unscharf erkennen, viel zu nah waren sie sich. Sie erahnte, dass er jung war. Deutlich erkannte sie nur die geraden, klar gezeichneten Brauen, an denen Schneeflocken hafteten, und helle Augen. Graugrün waren sie, schmal vor Hass und lodernd vor Zorn.
Ein ohrenbetäubender Lärm schleuderte sie zurück in die Wirklichkeit. Die Hand löste sich aus ihrem Haar und Summer verlor das Gleichgewicht, prallte gegen die Hauswand und ging zu Boden. Irgendwo ein scharfer Ruf, das Bellen eines Hundes. Nur
langsam begriff Summer, dass der Lärm ein Schuss gewesen war. Ein tiefes Bellen erklang nun ganz in ihrer Nähe. Schritte schlugen auf der Gasse, dann war es ruhig.
»He, bist du verletzt?«, sagte eine dunkle … Frauenstimme? Als Summer vorsichtig die Augen öffnete, erkannte sie direkt vor sich schmale Hosenbeine und schwarze Lederstiefel mit Metallkappen. »Hallo! Hörst du mich? Na los, schau mich an! Geht’s dir gut?«
Hechelnder Atem streifte ihr Gesicht. Summer wandte den Kopf und fand sich Auge in Auge mit einem struppigen Ungetüm von einem Jagdhund wieder. Erschrocken schrie sie auf und kroch zurück, bis die Hauswand sie bremste.
»Zurück, Jola«, sagte die Fremde ruhig und der Hund gehorchte auf der Stelle. Die Frau beugte sich herunter, packte Summer kurzerhand am Oberarm und zog sie auf die Beine. Summer erkannte ein Gesicht mit hohen Wangenknochen,
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