Ascheherz
heraus.
»Sieh an, du kannst also doch sprechen! Wohnst du hier in der Nähe?« Alles in Summer spannte sich an. Sie senkte den Kopf, bis ihr langes Haar das Gesicht verbarg. Nicht dass es noch einen Sinn gehabt hätte, sich zu verstecken. »Ich … nein. Ich bin nur auf der Durchreise.«
Der Hund schien Unaufrichtigkeit wittern zu können, er knurrte warnend, feindselig bis in die Spitzen seines Nackenfells. Ob die Frau ihr glaubte, konnte sie nicht erkennen. Doch ihr argwöhnischer Blick ließ nichts Gutes ahnen. »Na, dann sitzen wir ja buchstäblich im selben Boot«, meinte sie schließlich. »Ich mache hier auch nur Station. Ihr hattet Glück, dass ich heute so früh zum Hafen aufbrechen wollte. Na ja, jetzt kann ich mir den Weg wohl erst einmal sparen.« Das klang nicht gerade begeistert. Nun trat sie zur nächsten Tür und hämmerte mit dem Ende der Taschenlampe gegen das Holz. »He! Aufmachen! Ein Verletzter braucht Hilfe!«
Doch nichts rührte sich hinter den Fenstern und Türen, nur ein paar Häuser weiter öffnete sich eine Ladenklappe einen Spalt und eine raue Männerstimme bellte: »Schert euch weg!«
»Was für eine gastfreundliche Stadt«, knurrte die Frau.
Finn stöhnte wieder und begann sich in Summers Armen zu regen. Der Hund gab wieder ein dumpfes Grollen von sich. Vielleicht war es das, was Summer endgültig wieder zur Besinnung brachte. Sie musste weg. Doch dazu musste sie erst den Hund loswerden.
»Warum stehen wir hier herum?«, rief sie der Frau zu. »Die
Leute werden uns nicht helfen. Aber der Kerl kann noch nicht weit sein. Er ist verletzt. Warum hetzen Sie ihm den Hund nicht hinterher?«
Die Fremde schnaubte mit kaum verhohlener Verachtung. »Ich soll das Leben meines Hundes riskieren, um irgendeinen bewaffneten Idioten zu verfolgen, für den die Stadtpolizei zuständig ist? Nein, ich habe verhindert, dass er dir an die Gurgel geht, das muss fürs Erste genügen. Jola jage ich ganz bestimmt nicht einem Mann im Dunkeln hinterher, von dem ich nicht weiß, welche Waffen er noch bei sich trägt.« Summers verzweifelten Gesichtsausdruck falsch deutend, fügte sie hinzu: »Keine Sorge, wer angeschossen wurde, kann sich nicht lange verstecken. Selbst in Maymara nicht. Die Polizei wird den Kerl aufspüren.«
Sie hatte also tatsächlich vor, die Polizei einzuschalten. Das bedeutete, sie würden Summer ausfragen. Und vielleicht sogar auf die Wache mitnehmen. Sie würden in ihrer Vergangenheit wühlen und feststellen, dass es keine Sulamar aus Tuvaló gab. Und was, wenn sie sie dann einsperren würden? Was, wenn er mich findet und ich dann nicht fliehen kann? Beim Gedanken daran brach ihr der Schweiß aus.
»Finn braucht Hilfe!«, fuhr sie die Frau an. »Zwei Straßen von hier ist ein Hotel. Ich gehe dorthin und hole …«
»Du gehst nirgendwohin, Tanzmädchen! Schau dich an! Du bist so weiß wie Salz. Womöglich fällst du mir im Schock an der nächsten Straßenecke um.« Verärgert pfiff die Frau ihren Hund herbei und warf Summer ohne Vorwarnung die Taschenlampe zu. »Ich kenne das Hotel, das du meinst. Und auch den Blutsauger von Wirt, denn zufällig habe ich heute dort übernachtet. Also rühr dich nicht vom Fleck und vergiss nicht zu atmen, weißes Laken. Ich bin in fünf Minuten zurück!«
Ihre Erleichterung über diesen Befehl brauchte Summer nicht zu spielen. Sie nickte hastig und kauerte sich gehorsam neben Finn. Die Frau und der Hund rannten gleichzeitig los. Die Fremde bewegte sich geschmeidig wie jemand, der es gewohnt ist, lange und schnell zu laufen. Im nächsten Moment war sie mit den Schatten verschmolzen.
Summer lehnte sich zurück und atmete auf. Ihr Herz hämmerte nun mit dem Kopfschmerz um die Wette. Ein jäher Schwindel gaukelte ihr vor, wieder das Gleichgewicht zu verlieren. So als warte die Realität des Albtraums nur darauf, sie wieder anzuspringen.
Während sie Finns Kopf vorsichtig auf den Boden bettete und aufstand, kämpfte sie gegen die Tränen an. Sulamar hätte ihn niemals im Stich gelassen. Sie hätte ihn geküsst, aus ganzem Herzen geliebt und bis zum Letzten für ihn gekämpft, statt feige wegzulaufen.
Aber sie war nicht Sulamar. Sie hatte sich eingeredet, in ihn verliebt zu sein, doch in Wirklichkeit war sie es nicht, das erkannte sie nun mit schmerzhafter Klarheit. Ihr Lachen war niemals ganz echt. Und sie war weder mutig noch stark, sondern nur das namenlose Mädchen ohne Gedächtnis, das sich wie ein Dieb in anderer Leute Leben stahl und nur daran
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