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Ascheherz

Ascheherz

Titel: Ascheherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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kühle graue Augen und straff zurückgekämmtes Haar. Die Frau war höchstens dreißig Jahre alt, eher jünger. Noch während Summer sich wunderte, dass sie all diese Details im Dunkeln erkennen konnte, fiel ihr die Taschenlampe in der Hand der Frau auf. Ihr Licht reflektierte an der Hauswand und tauchte die Gasse in einen geisterhaften Schein.
    »Beruhige dich, Mädchen. Ich tu dir nichts«, sagte die Fremde nun etwas freundlicher. »Atme mal tief durch. Kannst du allein stehen?«
    Benommen nickte Summer und die Frau ließ sie los, trat einen Schritt zurück und musterte sie aus zusammengekniffenen Augen. Summers Knie waren so weich, dass sie sich gegen die Hausmauer lehnen musste. Fetzen von Erinnerungen vermengten sich mit der Realität, und sie wusste nicht, was schlimmer war. Ich muss weg von hier! Weg von der Straße. Sofort!

    Das Licht der Taschenlampe sprang erst in ihr Gesicht und glitt dann hinunter zu ihrem Kleid. Teure Seide schimmerte zwischen Asphaltflecken und Schmutz.
    »Eindeutig das falsche Viertel, um im Ballkleid spazieren zu gehen, Prinzessin«, bemerkte die Frau trocken. Jetzt erst fiel Summer auf, dass ihr Gegenüber bewaffnet war. Eine Pistole steckte in einer ledernen Halterung am Gürtel der Frau. Und ihre ärmellose, schmale Jacke erinnerte im Schnitt an Uniformkleidung. Ungewöhnlich war nur das Muster. Helle und dunkle Lederquadrate waren so aneinandergenäht, dass ein Schachbrettmuster entstand.
    Stadtpolizei? Für einige Augenblicke löschte dieser neue Schreck das Entsetzen über den Angriff aus.
    Die Frau wandte sich ab und verfolgte mit dem Lichtkegel eine Spur von Blutstropfen, die sich in der nächsten Gasse verlor. Beim Anblick der glänzenden Flecken wurde Summer so übel, dass sie ein Würgen unterdrücken musste. Er ist hier! Er hat ein Gesicht - und er verfolgt mich tatsächlich!, schrie eine Stimme in ihrem Kopf.
    Ein Traumbild blutet aber nicht , versuchte sie sich gut zuzureden. Der Angreifer hat mit dem Blutmann bestimmt nichts zu tun.
    »Hab ihn erwischt«, sagte die Frau mit kühlem Stolz. »Leider nur am Arm, sonst hätte ich dich treffen können. Aber ich wette, der vergreift sich trotzdem so schnell an keiner Frau mehr.«
    Das Licht glitt bei ihren Worten weiter und erreichte Finn. Er lehnte an der Wand wie eine Marionette, deren Fäden abgeschnitten worden waren. Eine Haarsträhne hatte sich am rauen Putz verfangen. Summer vergaß den Hund und die Pistole, stürzte an der Frau vorbei und fiel neben ihm auf die Knie. Durch ihre Berührung verlor der Körper seine fragile Balance. Schwer sackte er zur Seite und Summer umfing ihn und ließ ihn behutsam zu Boden
gleiten. Als sie die Hand auf Finns Brust legte, spürte sie zu ihrer Erleichterung einen kräftigen Herzschlag. Behutsam suchte sie nach Stichwunden und Schnitten, doch sie fand keine.
    Die fremde Frau trat zu ihnen, beugte sich herunter und hob Finns rechtes Augenlid an. Als sie ihm mitten ins Gesicht leuchtete, stöhnte er auf. Offenbar würde er bald wieder zu sich kommen.
    »Nur bewusstlos, nicht tot«, meinte die Frau. »Keine Verletzungen, soweit ich sehe. Ich schätze, wenn er aufwacht, wird er denken, eine Dachschindel sei auf seinem Schädel gelandet. Ist er dein Freund?«
    Summer hielt den Atem an. Schon jetzt war sie in Schwierigkeiten. Niemand schoss in Maymara ungestraft jemanden an - selbst aus Notwehr nicht. Die Frau schien sich darüber keine weiteren Gedanken zu machen, was entweder bedeutete, dass sie keine Ahnung von den Gesetzen Maymaras hatte - oder aber, dass ihre Stellung ihr Privilegien dieser Art gab. Auf Letzteres deuteten die Waffe, die teure Taschenlampe und die seltsame Uniformjacke hin. Aber was auch immer zutraf, die Stadtpolizei würde Summer Fragen stellen.
    Am liebsten wäre sie auf der Stelle geflohen. Aber der Hund beobachtete sie so lauernd, als würde er genau darauf warten. Sein Nackenfell war gesträubt, die Aggression konnte Summer beinahe als dunkle Aura sehen. Nun, aber warum sollte ausgerechnet dieser Hund anders reagieren als die anderen Tiere?
    »Was ist los? Zunge verschluckt?« Ungeduld vibrierte in der sachlichen Stimme. »Sag schon, Mädchen! Dein Kerl hier?«
    Summer nickte, weil es die Antwort war, die am wenigsten Erklärungen forderte.
    »Aha. Und konntest du den Angreifer erkennen? Oder weißt du
vielleicht sogar, wer er ist? Meine Güte, seid ihr hier in Maymara alle stumme Fische?«
    Summer würgte an einem Räuspern. »Nein«, brachte sie endlich

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